Geschichtsträchtiger Ort: die verlassene Villa an der Hauptmannsreute Foto: cf/Stolterfoht

Seit Jahren ist die Villa Breuninger an der Hauptmannsreute ein verlassener Ort. Nun soll das Gebäude aus dem Besitz der Warenhausdynastie einem Luxuswohnblock Platz machen.

Jetzt fehlt noch die Baugenehmigung. Dann soll ein weiteres Stück Stuttgarter Stadtgeschichte in Bauschutt und Asche gelegt werden – die Breuninger-Villa an der Hauptmannsreute, Hausnummer 47. Aus dieser Asche wird dann kein federleichter Phoenix emporsteigen, sondern ein doch eher brachialer Baukörper hochgezogen. Für rund sechs Millionen Euro hat die Projektentwicklungsfirma Avotus hinter der unter anderem das Stuttgarter Architekturbüro Blocher Partners steht, das Grundstück in bester nördlicher Halbhöhenlage gekauft. Entsprechend teuer werden dann die neuen Luxuswohnungen sein, die dort geplant sind.

Aber noch steht die Breuninger-Villa – und das fast schon trotzig wirkend auf Höhe des steilsten Herdwegabschnitts. Seit dem Tod von Eduard Breuninger, dem letzten Besitzer, steht das 1908 offenbar nach einem Entwurf von Paul Bonatz errichtete Gebäude nun schon rund vier Jahre lang leer und wurde so zu einem verlassenen Ort, zu einem Lost Place. Weil die nötigen Renovierungsarbeiten und ihre Kosten die Erben offenbar schreckten, kam es zum Verkauf der nicht unter Denkmalschutz stehenden Villa.

Letzte Rettung Erhaltungssatzung

Aufgebrachte Nachbarn haben sich nun zusammengetan, um den in Stuttgart immer weiter um sich greifenden Abriss stadtteilprägender Gebäude vor der eigenen Haustür zu stoppen. Dies wäre tatsächlich möglich, wenn im Fall der Breuninger-Villa die sogenannte Erhaltungssatzung zur Anwendung käme. Dazu braucht es aber das entsprechende Gutachten eines qualifizierten Ortshistorikers. Aber die gibt es offenbar in Stuttgart nicht. Diese Erklärung bekam jedenfalls aus dem Rathaus eine Anwohnerin auf ihre schriftliche Anfrage. Keine Reaktion auf Anfragen zum geplanten Großprojekt gibt es dagegen von der Käuferfirma Avotus.

Ein Abriss, so behaupten Nachbarn, sei so gar nicht im Sinne des letzten Besitzers der Villa gewesen. Eduard Breuninger, benannt nach seinem Großvater, dem aus Backnang stammenden Warenhausgründer, wohnte nicht nur mit seiner Familie an der Hauptmannsreute, sondern wirkte dort auch als Heilpraktiker. Vorheriger Besitzer des Gebäudes war Alfred Breuninger, Sohn von Eduard senior und Vater des vor vier Jahren verstorbenen Eduard junior.

Das dunkle Kapitel in der Firmengeschichte

Alfred Breuninger ist die umstrittenste Person in der Familiendynastie. Im 2009 erschienenen Buch „Stuttgarter NS-Täter“ beschäftigt sich in einem Kapitel über „Wirtschaftsführer und Arisierer“ der Mitautor Roland Maier intensiv mit der Rolle von Alfred Breuninger in den Jahren zwischen 1933 und 1945. Demnach ist der bis dato parteilose Firmenchef mit der Machtübernahme der Nazis in die NSDAP eingetreten. Alfred Breuninger, der geschäftlich immer mehr von der Vertreibung und Vernichtung jüdischen Lebens profitiert habe, wurde als sogenannter Ratsherr in den Stuttgarter Gemeinderat berufen.

Im Jahr 1937 konnte Alfred Breuninger das zuvor gepachtete Wohn- und Geschäftshaus Marktplatz 16 von den jüdischen Eigentümern Josef Grünberg und Arthur Hirschfeld erwerben, wie Roland Maier schreibt. Die Kaufsumme lag bei 700 000 Reichsmark, was offenbar nur etwa die Hälfte des damals marktüblichen Preises für ein solches Objekt gewesen sei. Im Jahr 1950 wurde vor Gericht entschieden, dass die Firma Breuninger gegen eine Nachzahlung von 360 000 Mark an die Erben der früheren Besitzer das Geschäftshaus in bester Innenstadtlage behalten darf. Alfred Breuninger erlebte den mit einem Vergleich beendeten Rechtsstreit nicht mehr mit. Er starb 1947.

Theoretisch hätte auch die Firma Breuninger die alte Villa kaufen können, um diese zu einem öffentlichen Ort zu machen, an dem an die eigene untrennbar mit Stuttgart verflochtene Geschichte erinnert wird. Erzählenswert ist dabei nicht allein die braune Vergangenheit. Dieses Gebäude würde auch den nötigen Raum bieten, das vom Hause Breuninger ausgehende soziale Engagement nach dem Krieg herauszustellen. Stattdessen ist an der Hauptmannsreute ein Lost Place entstanden, der schon bald einem Wohnblock weichen könnte.

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