Güterzüge auf dem Bahnhof in Braunschweig – die Industrie in Deutschland fürchtet die Auswirkungen eines länger andauernden Ausstandes der Lokführer Foto: dpa

Die Geduld der Bahnkunden ist schon lange zu Ende. Angesichts des viertägigen Streiks zeigen sich aber auch die Folgen für die deutsche Wirtschaft immer deutlicher.

Stuttgart - Das kann teuer werden: Der neuerliche Ausstand könnte nach Prognose von Forschern einen dreistelligen Millionenbetrag kosten. „Bei durchgängigen Streiks von mehr als drei Tagen sind in der Industrie Produktionsunterbrechungen zu erwarten“, sagte das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) am Mittwoch voraus. „Die Schäden können dann schnell von einstelligen Millionenbeträgen auf über 100 Millionen Euro pro Tag ansteigen.“ Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) befürchtet sogar negative Folgen für die Konjunktur. „So ein langer Streik zum jetzigen Moment ist ganz klar ein weiterer Konjunkturschock“, sagte DIHK-Chefvolkswirt Alexander Schumann. „Wir befinden uns ja schon in einer Konjunkturdelle. Da macht es so ein langer Streik nicht einfacher, wieder herauszukommen.“ Doch die Folgen des Streiks sind nicht für alle Branchen gleich. Hier ein Überblick.

Banken und Versicherungen

Manchmal sind die Auswirkungen des Streiks zwar finanziell überschaubar, aber trotzdem ärgerlich. So hatte der Sparkassenverband die Pressesprecher der 53 Sparkassen und weiterer angeschlossener Unternehmen im Land für diesen Donnerstag zur alljährlichen Herbsttagung nach Stuttgart eingeladen. Zuerst wurde noch lange nach alternativen Anreisemöglichkeiten gesucht. Doch am Ende entschied sich der Verband zur Absage – 80 Prozent der Teilnehmer wollten mit den Zug anreisen. „Wir wollten es den Leuten nicht zumuten, sich an diesem Tag mit dem Auto nach Stuttgart zu quälen“, sagte Verbandssprecher Stephan Schorn. Das Treffen wurde deshalb ersatzlos gestrichen.

Autoindustrie

Härter trifft es natürlich diejenigen Branchen, die auf den Güterverkehr mit der Bahn angewiesen sind. So sitzen etwa die Cheflogistiker beim Autobauer Daimler seit Wochen jeden Morgen zusammen und planen die Alternativen für den Ernstfall. „Wir haben langfristig Kapazitäten bei den Spediteuren geblockt“, sagt ein Sprecher. Wo Güterzüge nicht fahren können, wird die Anlieferung in die Werke nun über die Straße abgewickelt. Auch wenn der Streik der GDL diesmal länger dauert, versichert Daimler: „Die Produktion läuft weiter.“

Auch Europas größter Autobauer Volkswagen stellt sich auf den bisher längsten Lokführerstreik bei der Deutschen Bahn ein. „Wir beobachten die weitere Entwicklung sehr aufmerksam. Unser Ziel ist es, die Produktion an unseren Standorten aufrechtzuerhalten“, sagte ein VW-Sprecher am Mittwoch in Wolfsburg. Details zu denkbaren Folgen für die Unternehmenslogistik oder den möglichen Reaktionen auf den Ausstand auf der Schiene nannte er nicht. Ähnlich äußerten sich BMW und Audi. BMW verwies zudem darauf, dass die Bahn bis zum Ende der Woche einen reibungslosen Ablauf der Transporte zugesichert habe. Beide Hersteller betonten, dass der Streik fürs Erste keine Auswirkungen auf die Auslieferung haben werde. Die Kundschaft solle nicht auf bestellte Wagen warten müssen.

Die Bahn versprach, etwa die Hälfte der Verbindungen im Güterverkehr aufrechtzuerhalten. Kraft- und Stahlwerke sowie die Chemie- und Autoindustrie sollten vorrangig bedient werden. Täglich rollen alleine für die Automobilindustrie rund 200 Züge durch Deutschland. Ein vollständiger Ersatz aller Bahntransporte durch andere Verkehrsträger ist nach Angaben des Verbandes der Automobilindustrie jedoch nicht möglich. „Deswegen rechnen wir damit, dass unsere Transportabläufe erheblich behindert werden“, sagte VDA-Chef Matthias Wissmann.

Chemiebranche

Auch die Chemiebranche sieht teils erhebliche Auswirkungen des Bahnstreiks auf die Unternehmen. Einen viertägigen Streik durch Vorratshaltung auszugleichen sei für die Unternehmen möglich, aber „sehr schwierig“, sagte ein Sprecher der Chemie-Verbände Baden-Württemberg.

In der auch von schweren oder hochvolumigen Grundstoffen abhängigen Branche gilt eine Unterbrechung der Warenströme von zwei Tagen als überbrückbar. Drei Tage stellen die allermeisten Firmen schon vor Herausforderungen. Nach Branchenangaben sind in den vergangenen Jahren zusehends Güterströme im Chemiebereich auf die Schiene verlagert worden – nicht zuletzt aufgrund immer strengerer Vorschriften zum Ausstoß vom Klimagas CO2.

Nach Branchenangaben hat die Chemieindustrie einen Anteil von rund neun Prozent am bundesdeutschen Schienengüterverkehr, was mehr als 30 Millionen Tonnen per Bahn transportierten Waren im Jahr entspricht. Der Bahnanteil am Transport von Chemiegütern beträgt 14 Prozent.

Besonders bei Chemie- und Pharmafirmen, die aufgrund guter Geschäfte an der Auslastungsgrenze arbeiten, wird der Bahnstreik wohl zu Problemen führen. Eine ganze Reihe von Chemieunternehmen arbeiteten derzeit im Drei- oder Vierschichtbetrieb, sagte der Chemie-Verbände-Sprecher.

Aufgrund der sehr frühen oder sehr späten Arbeitszeiten im Mehrschichtbetrieb seien Mitarbeiter in diesen Firmen in besonderem Maß auf einen eng getakteten und funktionierenden Bahnverkehr angewiesen. Besonders am kommenden Wochenende rechnen die Betriebe daher mit Schwierigkeiten. „Spätestens dann wird es für die Mitarbeiter, die über keine Alternative zur Bahn verfügen, schwierig, zum Arbeitsplatz zu kommen“, sagte der Sprecher.

Einzelhandel

Auch die Einzelhandelsunternehmen fürchten, dass die Beschäftigten durch den Bahnstreik Probleme bekommen, zu ihrer Arbeitsstelle zu gelangen. „Viele Mitarbeiter sind auf den Zug angewiesen“, sagte ein Sprecher des Handelsverbands unserer Zeitung. Die Befürchtung mancher Kunden, dass sie im Supermarkt dann vor leeren Regalen stehen, zerstreut er allerdings: „Die Warenversorgung findet im Einzelhandel überwiegend über Lkw statt“, so der Sprecher. „Das liegt daran, dass der Einzelhandel in Deutschland sehr dezentral strukturiert ist.“

Logistikbranche

Für die Logistikunternehmen im Land sei der Streik kein Grund zum Jubeln, sagte der Geschäftsführer des Verbands Spedition und Logistik Baden-Württemberg, Andrea Marongiu. Die Spediteure arbeiteten neutral vom Verkehrsträger und böten ganze Logistikketten an. Falle die Bahn aus, müssten die Spediteure auch umplanen. „Das kostet mehr Geld und Nerven“, sagte Marongiu. Er schätzt, dass an einem Streiktag 200 Güterzüge bundesweit liegenbleiben. Das entspreche etwa der Ladung von 4500 Lastwagen. Viele Firmen vor allem im Einzelhandel hätten sich bereits vorbereitet und teilweise vorsorglich Lastwagen gebucht, sagte Marongiu.