Der Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir (li.) testet mit dem Paketzusteller Adil Kharbouch E-Lastenräder von DHL. Foto: Jürgen Brand

Lieferdienste strampeln sich ab, um die City zu entlasten, fordern aber die Hilfe der Stadt. Denn es fehlt an kleinen Flächen, auf den die Waren umgeschlagen werden können.

Stuttgart - In der modernen Medienwirklichkeit zählt für Politiker mehr denn je, sich über Themen ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Jeder Klick, jeder Like, jede gedruckte Zeile ist dabei so etwas wie ein Pulsschlag, der den Blutdruck, sprich die Aufmerksamkeit, erhöht. Cem Özdemir, für die Grünen im Bundestag, hat gerade einen systolischen Druck von 170. Er platziert sich in der nationalen Integrationsdebatte, aber auch bei lokalen Zukunftsthemen. Zuletzt sogar als radelnder Postbote, der auf die Probleme der Innenstadt aufmerksam macht. „Das ist die Zukunft“, sagt Özdemir, als er nach zwei Stunden am Lenker eines Cubicycles, eines vierrädrigen E-Mobil-Paket-Fahrrads, am Hans-im-Glück-Brunnen ankommt. „Wenn wir wollen, dass die Innenstädte bunt und interessant bleiben, geht es nicht anders. Es geht nicht, dass jeder mit dem Laster in die Stadt fährt, das macht die Städte kaputt.“

Cem Özdemir ist begeistert

Tatsächlich ist der elektromobile Paketdienst nicht nur die Zukunft, sondern immer stärker werdende Gegenwart. Die Deutsche Post DHL Group hat in der Innenstadt vier Cubicycles im Einsatz. Start des Projektes war im Oktober 2017. Seit Juli 2018 wurde der Test nun – in Zusammenarbeit mit der Stadt und dem Fraunhofer-Institut – ausgeweitet. Von einem neuen Micro-Hub, wie die Mini-Depots in der Logistiksprache heißen, am Joseph-Süß-Oppenheimer-Platz aus starten jetzt weitere zwei Paketzusteller mit Cubicycles. Sie beliefern das Gerberviertel mit Paketen und Päckchen.

Zudem weist der DHL-Sprecher Gerold Beck stolz daraufhin, dass die Postboten im Großraum Stuttgart täglich mit mehr als 220 E-Bikes und E-Trikes unterwegs seien. Mehr noch: Bei den Stuttgarter Street-Scootern, den Elektro-Transportern, wurden mittlerweile alle 20 Fahrzeuge aus dem Jahr 2016 gegen größere Fahrzeuge ausgetauscht. Sie können nun die doppelte Menge an Paketen (acht Kubikmeter) laden.

„Damit erhöht sich auch die Menge an jährlich eingespartem CO2 auf rund 80 Tonnen“, sagt Beck und verweist darauf, „dass demnächst die ersten neuen XL-Street-Scooter (Platz für rund 200 Pakete ) eingesetzt werden“.

DPD hofft auf die Hilfe der Stadt

Das Fahrzeug, das gemeinsam mit dem Autohersteller Ford produziert wird, sei für die Paketzustellung in Ballungsräumen wie Stuttgart ein maßgeschneiderter, umweltfreundlicher E-Transporter. Beck: „Das alles dient unserem ehrgeizigen Ziel, bis 2050 die gesamte Zustellung auch in Deutschland mit null Emissionen zu bewerkstelligen.“

DHL ist in diesem Bereich der Konkurrenz enteilt. Aber die Wettbewerber wollen nachziehen. Nicht nur aus Verantwortung für die Umweltbelastungen, die Warenverkehr erzeugt. „Viele Städte reagieren restriktiv auf das Wachstum unserer Paketmengen – zum Beispiel in Form von Zugangsbeschränkungen oder durch allzu enge Lieferzeitfenster in der Fußgängerzone“, räumt Peter Rey vom DPD-Paketdienst ein. „Doch dies läuft nicht nur den Interessen städtischer Einzelhändler zuwider, sondern stellt auch die Anbindung der städtischen Einwohner an den weltweiten E-Commerce in Frage.“

Daher will auch der DPD in Zukunft stärker auf Elektromobilität setzen. Bisher sieht der E-Fuhrpark in Stuttgart so aus: zwei VW eCrafter, ein Renault Master ZE als Ergänzungsfahrzeug und ein Lastenrad. „Drei weitere E-Bikes sind für die Stadt vorgesehen, können mangels Mikrodepot aber noch nicht starten“, erklärt Rey. Aus seiner Sicht ist das bedauerlich: „Denn ein E-Lastenrad könnte einen Mercedes Sprinter ersetzen.“ Damit hat der DPD-Sprecher die Hemmnisse des weiteren Ausbaus der E-Logistik angesprochen: Es fehlt an Umschlagplätzen (Mini-Depots) in der Stadt und an Fahrzeugen. „Die Automobilindustrie kündigt bisher nur an, dass sie der Nachfrage nachkommen will. Aber keiner kann genau sagen, wie viele Fahrzeuge lieferbar sind.“

Viel größer sei jedoch das Problem der kleinen Logistikflächen. Hier hofft Peter Rey auf die Unterstützung der Stadt – wahrscheinlich vergeblich. Im Rathaus heißt es dazu: Für Oberbürgermeister Fritz Kuhn habe der Wohnungsbau absolute Priorität. Daher werde es wohl in Zukunft keine neue Logistikfläche geben. „Doch wir als Paketdienste schaffen es nicht alleine. Die Stadt har einen viel größeren Hebel, bei diesen Umverteilungsplätzen etwas zu machen“, sagt Rey. In Berlin etwa stellen die Verwaltungen allen fünf Paketdiensten eine Logistikfläche zur Verfügung. „Eine engere Kooperation zwischen Städten und Paketdiensten ist der Schlüssel für eine umweltverträgliche Paketzustellung in den Innenstädten“, sagt er mit Blick auf die Zukunft.

Damit dürfte er mit Cem Özdemir auf einer Linie liegen. Aus eigener Pedal-Erfahrung weiß der Bundestagsabgeordnete und ehemalige Partei-Chef der Grünen nun: Gerade in Stuttgart sollte die Umstellung auf Lastenräder und E-Transporter – auch im Hinblick auf die Luftbelastung und drohenden Fahrverbote – besser heute als morgen klappen. „Es fährt sich sehr angenehm, ist technisch gut gemacht und löst bei den Passanten und Autofahrern ein Lächeln aus. In Verbindung mit den StreetScootern ist das ein Segen für die Städte“.