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Das Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg hat im Kampf gegen die Internetkriminalität massive Probleme eingeräumt und Bürger und Unternehmer zur Mithilfe aufgerufen.

Stuttgart - Es ist nur ein schlichtes Papier, das das Landeskriminalamt Baden-Württemberg und der IT-Branchenverband Bitkom soeben unterzeichnet haben. Doch für Reinhard Tencz, Abteilungsleiter Cyberkriminalität im Landeskriminalamt (LKA), ist es eine Kooperation für die Zukunft. 1700 Unternehmen gehören dem Bitkom an, darunter Firmen, deren Expertise weltweit gefragt ist. Auch das LKA will vom Expertenwissen profitieren – bei der Jagd auf Cyberverbrecher. Denn diese agieren immer schneller und internationaler im weltweiten Netz. Vor allem tarnen sich die Hintermänner immer besser. Sie handeln mit geklauten Kreditkartendaten, kapern Tausende von Computern, um mit ihnen Webseiten lahmzulegen, oder infizieren sie mit Viren und Trojanern. Und sie spionieren die Geheimnisse von Unternehmen und Bürgern aus.

Das Problem: Das LKA kriegt sie zu selten zu fassen. „Die Täter sind uns oft einen oder mehrere Schritte voraus. Die Polizei schafft dies nicht mehr alleine“, sagt Tencz. Mit der Kooperation mit dem Bitkom will man wieder näher an die Täter heran.

Was das heißt, erklärt man beim LKA Nordrhein-Westfalen. Hier kooperiert man – als bisher einziges Landeskriminalamt – mit dem Bitkom. Stoße ein polizeilicher Experte auf ein ihm unbekanntes Dateiformat, bekomme er über den Bitkom in kürzester Zeit die Firma, die das Format entwickelt habe, sagt Helmut Picko, Dezernatsleiter des Cybercrime-Kompetenzzentrums. Außerdem gebe es Hospitationen, bei denen Experten von Polizei und Firmen zusammenarbeiteten – „auf Augenhöhe“, wie Picko betont. Zum Beispiel mit dem IT-Riesen IBM beim Thema Big Data, also der Auswertung riesiger, heterogener Daten. Big Data gilt für Firmen als eines der renditeträchtigsten Geschäftsmodelle: Wer Daten schnell genug zielgenau auswerten kann, hat gegenüber Mitbewerbern einen Vorsprung. Außerdem lässt sich so das Kundenverhalten genau bestimmen. Für die Polizei ist Big Data für die Ermittlungsarbeit wichtig. „Wir brauchen zum Beispiel eine Software, die Sprache möglichst intelligent analysieren kann. Diese semantische Analyse ist viel effektiver als die Suche nach Namen oder Begriffen“, sagt Picko. „Das konnten wir gemeinsam erproben.“

Schaden von rund 18 Millionen Euro

Aus dem Datenwust könnte also am Ende ein Konzentrat werden, das für die Ermittlungen besser taugt. Auch das LKA Baden-Württemberg möchte deshalb mit IBM kooperieren. Außerdem ist man derzeit mit weiteren Firmen wie Antiviren-Spezialisten im Gespräch. Geht es nach Tencz, ist das erst der Beginn für weitere Absprachen. „Wir brauchen eine länderübergreifende Zusammenarbeit und eine stärkere Vernetzung von Forschung, Lehre, Wirtschaft, Verbänden und Behörden, um Cyberkriminelle erfolgreich bekämpfen zu können. Auch Europol mit seinem neuen Cybercrime Center wird hier künftig ein wichtiger Partner sein.“

Doch wie viele Kriminelle gibt es überhaupt? Und wie viele Straftaten? Rund 26.000 Fälle von Cyberkriminalität weist die Landesstatistik für das Jahr 2012 auf – mit einem Schaden von rund 18 Millionen Euro. Doch die Zahlen bilden die Wirklichkeit nicht ab – viele Straftaten würden überhaupt nicht gemeldet. „Wir haben das Gefühl, dass viele Bürger resignieren und die Straftaten gar nicht melden. Weil sie davon ausgehen, dass dabei nichts herauskommt“, klagt Tencz. „Wir sind aber auf den Bürger und Verantwortliche in den Firmen angewiesen. Durch frühzeitige Anzeigen helfen sie den Betroffenen, beispielsweise wenn Pädophile in sozialen Netzwerken mit Kindern Kontakt aufnehmen. Da wünsche ich mir mehr Sensibilität und schnelle Reaktionen.“

„Wir sind derzeit massiv auf Aufholjagd“

Deshalb wolle man die Anzeigenaufnahme verbessern. Seit einiger Zeit schule die Akademie der Polizei in Freiburg Beamte, damit bereits auf den Revieren Strafanzeigen zur Internetkriminalität angemessen erfasst werden können. Danach würden die Fälle an Spezialisten für Cyberermittlungen weitergeleitet. „Dadurch lernen wir die Täter besser kennen und merken rechtzeitig, wenn sie ihr Vorgehen ändern“, sagt Tencz. Ähnliches wünscht er sich von Firmen – wenn ihre Webseiten angegriffen werden oder offensichtlich Firmengeheimnisse gestohlen wurden.

Dann allerdings müssten die Beamten nicht nur schnell, sondern auch effektiv ermitteln, sagt Picko vom LKA Nordrhein-Westfalen. Man habe die polizeiinternen Abläufe bereits vernetzt und beschleunigt. „Unsere Erfolge werben für uns. Immer mehr Unternehmen erstatten bei uns Strafanzeige.“

Tencz ist zuversichtlich, dass auch im Südwesten die Zahl der Strafanzeigen steigen wird – von Unternehmen und Bürgern. „Wir sind derzeit massiv auf Aufholjagd. Aber die Polizei muss sich in den nächsten Jahren weiter professionalisieren.“