Leipziger Buchmesse 2023: Wo es Bücher gibt, waren in der Regel auch Agenten am Werk. Foto: imago/Chris Emil Janßen

Wenn an diesem Donnerstag die Leipziger Buchmesse beginnt, ist für viele Literaturagenten ein Teil ihrer Arbeit getan: Sie haben Neuautoren bei der Suche nach einem Verlag geholfen und den Kontakt zu einem Lektor vermittelt. Wie genau machen sie das eigentlich?

Am Donnerstag beginnt die Leipziger Buchmesse – und damit die Gelegenheit für Tausende Literaturfans nach Herzenslust zu schmökern, durch die Messeregale der Verlage zu stöbern oder Autoren zu begegnen.

 

Für Lianne Kolf ist das alles Berufsalltag. Lesen gehört dabei zu ihren wichtigsten Aufgaben. Wenn sie Urlaub macht, arbeitet sie trotzdem weiter. 84 Manuskripte hatte die Literaturagentin aus München in ihren letzten mitgenommen, erzählt sie. Sowohl Manuskripte von Autoren, die sie bereits unter Vertrag hat, als auch unverlangt eingesandte, die sie für interessant hält.

Geht Lianne Kolf ein neues Manuskript durch, das ihre „Verlagsagentur Lianne Kolf“ erreicht hat, stellt sie sich stets folgende Fragen: Ist der Text kurzweilig? Wie ist er sprachlich ausgearbeitet? Ist das Thema nicht zu abwegig? Und fällt ihr auf Anhieb ein möglicher Verlag ein, dem sie es anbieten würde? Nach 40 Jahren in der Branche hat sie ein Gefühl dafür entwickelt, worauf es zu achten gilt. Ihre Agentur vertritt Autoren aller Genres. Zu den von ihr vertretenen Schriftstellern gehören auch Schwergewichte wie das Autorenduo Iny Klocke und Elmar Wohlrath, besser bekannt unter dem Pseudonym: Iny Lorentz. Ihre Romane, zu denen auch der Bestseller „Die Wanderhure“ gehört, haben sich inzwischen 21 Millionen Mal verkauft.

Danach gefragt, was einen Literaturagenten an einem Manuskript überzeugt, antwortet Markus Michalek, Geschäftsführer und Agent bei der Münchner Literaturagentur AVA: „Wir wollen staunen, ohne zu merken, dass wir es tun.“

Viele Verlage unter einem Dach

Aber warum überhaupt sollten Autoren einen Literaturagenten und nicht einen Verleger zum Staunen bringen wollen? Was überhaupt sind Literaturagenten? – Um das zu verstehen, ist ein Blick zurück hilfreich. Vor 40 Jahren waren die Strukturen innerhalb der Verlage klarer: Einzelverlage, prägten die Verlagslandschaft. Der Verleger war in der Regel auch Eigentümer, die Unternehmen bleiben oftmals über mehrere Generationen in Familienbesitz. Diese klare Architektur ermöglichte eine direkte und enge Bindung zu den Autoren.

Heute ist das Bild ein gänzlich anderes. Es gibt nicht mehr den Verlag. Es sind Konzerne, die unter Umständen Dutzende Verlage unter einem Dach beherbergen, und Herausgeber sind heute meistens ebenfalls Angestellte. Folglich sieht die Realität heute so aus: viele Abteilungen, viele Themen, viele Ansprechpartner. Markus Michalek gibt dafür ein Beispiel: „In der vergangenen zehn Jahren hat sich die Geschwindigkeit in der Verlagsbranche verändert. Autoren müssen sich während einer Buchproduktion unter Umständen an zwei oder sogar drei unterschiedliche Lektoren gewöhnen.“

Wer sind die Ansprechpartner?

Wohin und an wen sollen sich also Autoren mit ihren Manuskripten wenden? Andersherum gilt: Wie sollen Verlage den passenden Stoff für ihr Programm finden, wenn beispielsweise die Abteilung für Belletristik zwar historische Romane sucht, aber Kochbuchmanuskripte zugeschickt bekommt?

An dieser Stelle kommen die Literaturagenten ins Spiel. Sie sind eine Art Vermittler zwischen Verlagen und Autoren. „Kontakte innerhalb der Verlage sind unser Kapital“, erklärt Lianne Kolf das Verhältnis zwischen Agentur, Verlag und Autor: „Wenn wir Manuskripte einem Verlag anbieten, weiß man dort, dass diese von uns geprüft wurden, wir kennen uns seit Jahren und wissen, wer mit welchem Stoff etwas anfangen kann.“

Neue Manuskripte und Nachlässe

Acht Personen arbeiten in ihrer Agentur. Davon prüfen drei bis vier neue Manuskripte, und wie sich ein in Frage kommendes Manuskript verwerten ließe. Hat der Stoff Potenzial, um ins Ausland verkauft zu werden, eignet er sich für ein Hörbuch oder für eine Film- oder Theateradaption? Und selbstverständlich verhandeln sie für Autorinnen und Autoren mit den Verlagen.

Aber was bedeutet es, für Autoren zu verhandeln? Die 75-jährige Agentin erläutert: „Es geht darum, welchen Platz ein Buch bekommt, soll es ein Spitzentitel werden, ein Taschenbuch oder Hardcover? Wann wird es herauskommen? Wann ist der Abgabetermin für das Manuskript, wie hoch ist das Honorar?“ Darüber hinaus verwalten Literaturagenturen auch Nachlässe. 120 Autorinnen und Autoren vertritt die AVA aktuell. Dazu zählen auch die Werke verstorbener Autoren, unter anderem die von Utta Danella oder Michael Ende.

Fester Bestandteil der Buchbranche

Heute sind Literaturagenturen also ein fester Bestandteil der Verlags- und Buchbranche. In den achtziger Jahren als Lianne Kolf anfing, war der Beruf „Literaturagent“ ein Kuriosum – und Kolfs erste Schritte im Literaturbetrieb entsprechend schwierig. Die ersten Monate hatte sie mit Verlagen kaum über Inhalte gesprochen. „Die Verleger haben mich gefragt, ob ich einen Vogel habe, und mir dann eine Stelle in ihrem Verlag angeboten.“ Hatte sie dann nochmals deutlich gemacht, dass sie einen Autor anbieten wolle, erntete sie Empörung, wo man denn hinkommen werde, wenn in Deutschland auch noch Autoren einen Agenten haben werden.

An derart schwierige Anfangszeiten erinnert sich auch Roman Hocke, langjähriger Geschäftsführer und Literaturagent der AVA. In den achtziger Jahren hatte der heute 70-Jährige erst als Lektor, später als Verlagsleiter im Stuttgarter Verlag „Edition Weitbrecht“ gearbeitet. Bis er sich nach 17 Jahren in Stuttgart für einen neuen Weg entschieden hatte. Allerdings: Auch Mitte der neunziger Jahre sei es als Literaturagent noch schwierig gewesen, ernst genommen zu werden. „Kein Name, drei Projekte. Ich bin von Verlag zu Verlag gezogen und habe versucht, ins Gespräch zu kommen, bis endlich einer Interesse zeigte“, erinnert sich Hocke. In dieser Zeit musste sich der Literaturagent nebenher noch als freier Lektor über Wasser halten. Gleichwohl hatte ihm das auch Kontakte zu Lektoren eröffnet.

Geduld weitergeben

Aber auch wenn die Erfahrung da ist und man sich kennt, landet man da trotzdem mal einen Flop? Lianne Kolf zeigt sich erstaunt über diese Frage: „Na sicher. Man verliebt sich in einen Stoff und vertut sich schon mal.“ Humor sei so ein schwieriger Fall und nicht einfach zu verkaufen, da es sehr unterschiedliche Meinungen dazu gebe, was lustig ist und was nicht, nennt sie als Beispiel.

Trotz Netzwerk und Marktkenntnis ist eine Agentur kein Selbstläufer. Auch Agenten müssen Geduld haben. So hat es für die AVA zwei Jahre gedauert, einen Verlag für den damals noch unbekannten Autor Sebastian Fitzek zu finden. Deutsche Thriller existierten 2003 praktisch gar nicht, und so folgte Absage auf Absage. „Zu unseren Aufgaben gehört es, uns auch die schmerzhaften Antworten zu holen. Jede Absage schmerzt auch uns“, erklärt Roman Hocke.

Geduld also. Das bedeutet in der AVA, auch die Autoren zu einer eigenen Marke heranreifen zu lassen. Mit den Autoren so lange an ihrem Stil zu feilen, bis sie ihre Identität finden und damit möglichst unverwechselbar werden. Und eine weitere Eigenschaft müssen Agenten haben: Besagte Geduld müssen sie auch an ihre Autoren weitergeben. Und wie im Fall Fitzek, kann sich diese Geduld als Glück erweisen.