Die Stadt Korntal-Münchingen hält am landesweit beachteten regionalen Gewerbeschwerpunkt nördlich von Müllerheim fest. Wie geht es nun weiter – und was sagt der Projektpartner Porsche?
Das Ergebnis hätte auch anders ausfallen können, denn die Befürworter des regionalen Gewerbeschwerpunkts (RGS) nördlich von Müllerheim haben gerade mal drei Stimmen Vorsprung. Der Gemeinderat hat beschlossen, dass er aufgrund „schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen“ angesichts steigender Zinsen und Baukosten den Ökopark auf Eis legt – vorerst.
Zeit nutzen, um Fragen zu beantworten
Das Gremium hält an einer gewerblichen Entwicklung fest, die maximal ökologisch und nachhaltig sein soll. Die Pläne kurzfristig zu realisieren, hat die Stadt aber verworfen. Stattdessen will sie „wesentliche Rahmenbedingungen für eine mittel- oder langfristige Realisierung einer kritischen Prüfung unterziehen“. Die Unsicherheiten und Risiken, die mit der aktuellen wirtschaftlichen Lage verbunden seien, hätten potenzielle Investoren veranlasst, vorsichtiger zu handeln und ihre Investitionsentscheidungen zu überdenken. Sinnvoll erscheine, mit einer Investorensuche zu warten, bis sich die konjunkturelle Situation verbessert.
Der Fachbereichsleiter für Stadtentwicklung, Stefan Wolf, sagt, man wolle sich für die Zukunft Entwicklungsoptionen offenhalten und erst mal Fragen klären. Zur verkehrlichen Erschließung etwa. Die Stadt will wissen, wie sie das Gewerbegebiet an das Straßennetz anbindet, bis der B-10-Anschluss verlegt ist. Ein Verkehrsplaner soll ein Konzept erstellen. Auch setzt die Stadtverwaltung die Gespräche mit dem VVS, dem Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart, fort. Es geht um die Möglichkeiten einer Anbindung des Ökoparks an die Schiene. „Außerdem müssen wir artenschutzrechtliche Belange klären“, sagt Stefan Wolf: Auf der gut 16 Hektar großen Fläche tummeln sich sowohl Feldlerchen als auch Rebhühner.
Optionsrechte weiter behalten – wie?
Und die Stadtverwaltung führt Gespräche zur Sicherung von Grundstücken. Sie soll so die nötigen Grundlagen schaffen, um auch in späteren Phasen eine nachhaltige, bedarfsgerechte Umsetzung des Projekts zu ermöglichen. Entscheidend ist, die Optionsrechte an den Grundstücken zu behalten, die die Terra GmbH gesichert hat – die Rechte laufen in ein bis zwei Jahren aus. Demnach geht es auch um die Frage, wer gegebenenfalls die „natürlich erheblichen Kosten“ für den tatsächlichen Erwerb der Flächen tragen würde. Darüber hinaus seien noch nicht alle Grundstücke im Gewerbegebiet optioniert.
Eine Überlegung ist, mit der Region Stuttgart einen Zweckverband zu gründen, um die Grundstücke zu sichern – für die Region ist der Standort Müllerheim wichtig mangels großer Gewerbeflächen im Raum Stuttgart. Erste Gespräche habe es gegeben, heißt es aus dem Rathaus. „Bis vor kurzem war das noch kein Thema, da eine Realisierung des RGS durch die Projektpartner als Vorhabenträger angedacht war – ohne Betätigung der Stadt beim Grunderwerb.“ Zu den Kosten für die Grundstückssicherung könne die Verwaltung noch keine belastbare Einschätzung geben. Für das Artenschutzgutachten und das Verkehrskonzept rechnet sie mit Kosten von mindestens 50 000 Euro.
Wirtschaftliche Impulse für die Region
Der Bürgermeister Alexander Noak (parteilos) sagt, er bedaure sehr, dass eine Realisierung des RGS unter den aktuellen Vorzeichen nicht möglich sei. „Das Projekt hätte zur städtebaulichen Entwicklung beigetragen und wirtschaftliche Impulse für die Region geschaffen.“ Man bleibe entschlossen im Engagement, eine innovative und nachhaltige Gebietsentwicklung umzusetzen. „Die Entscheidung pro RGS ist auch eine Entscheidung pro Umwelt.“
Die Stadt hatte im Juli 2021 ihre Ideen für den RGS vorgestellt. Im Fokus stehen Ökologie, Mobilität, Energie, soziale Einbindung und Vernetzung. Ein Leuchtturmprojekt soll der RGS sein, Modellcharakter haben, unter- und oberirdische Nutzungsflächen. Als Projektpartner holte sich die Stadt die Terra GmbH des Architekten Wolfgang Frey und den Autobauer Porsche ins Boot. Die GmbH kümmert sich um den Grunderwerb, Porsche bringt sich obendrein als ein möglicher Nutzer großer Flächen ins Spiel.
Porsche bekundet weiter Interesse
Die Suche nach Investoren begann, mit 17 gab es Gespräche. Im September stellte ein potenzieller Investor abgespeckte Pläne vor, die den derzeitigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung tragen. Sie sehen ein deutlich reduziertes Investitionsvolumen vor (bisher war die Rede von mindestens 1,5 Milliarden Euro), eine deutlich geringere Bebauung der Fläche bei gleichem Flächenverbrauch – und kaum Umsetzung der anspruchsvollen Nachhaltigkeitsziele. Der Gemeinderat lehnt das Konzept ab. Es ist ihm zu weit weg von den ursprünglichen Plänen, die landesweit Beachtung finden und landesweit gewollt sind.
Und Porsche? „Wir bedauern, dass die diskutierten Konzepte nicht weiterverfolgt werden“, teilt der Autobauer auf Anfrage mit. Man sehe aber auch die von der Gemeinde angeführten allgemeinen Herausforderungen. „Ungeachtet dessen prüft Porsche auch in Zukunft mögliche Flächennutzungsoptionen in der Region. Der Standort Korntal-Münchingen bleibt dabei weiter interessant für das Unternehmen.“
Die Gemeinderäte bewerten den Ökopark unterschiedlich. Der Fraktionschef der CDU, Oliver Nauth, will das Aus verhindern, erst dann davon sprechen, wenn auf die Fragen „zufriedenstellende Antworten“ fehlen. „Unser Vorgehen ist langsam, aber umsichtig“, findet Andrea Küchle (FDP). Ähnlich sieht das Renate Haffner (SPD). Ihr zufolge könnte der Standort mit Bundesstraße und Autobahn in der Nähe logistisch nicht besser sein. Gleichwohl müssten erst die Flächen gesichert sein, die Fragen beantwortet und die Finanzlage der Unternehmen besser. Die Chefin der Freien Wähler, Marianne Neuffer, betrachtet die Pläne als „Vorbild für künftige Gewerbegebiete“. Der Ausbau des Nahverkehrs müsse generell weiterverfolgt werden.
Ein Bürgerentscheid ist denkbar
Neuffers Fraktionskollege Steffen Müller ist gegen den Ökopark. Die Stadt müsse das Projekt „ad acta legen“ und künftig ohne Beteiligung von außen Flächen sichern. Auch die Grünen wollen nicht am Standort festhalten. Harald Wagner spricht mit Blick auf die Pläne von „Greenwashing für Gewerbegebiete“. Viele Räte fordern zudem, vorhandene Gewerbeflächen zu aktivieren und optimieren. Das ist auch im Sinne der Stadtverwaltung. Um die finanzielle Stabilität des Gesamthaushalts der Stadt zu gewährleisten, sollen mittelfristig kleinere Gewerbegebietsentwicklungen wie „Gänsäcker“ und „Greutter-Aichelin“ vorangetrieben werden. „Allerdings wird deutlich, dass diese Schritte allein bei weitem nicht ausreichen.“ Daher sei eine Entwicklung des RGS weiter nötig. Womöglich entscheidet am Ende auch die Bevölkerung: Ein Bürgerentscheid steht im Raum.