Wenn das Leben immer anstrengender wird, wächst die Gefahr eines Burn-outs. Foto: Pict Rider/Adobe Stock

Ist Burn-out das neue Volksleiden? Die Ulmer Medizinerin Eva Rothermund forscht über dieses Phänomen – und trägt es bei der Leser-Uni der Stuttgarter Zeitung vor.

Stuttgart - Erschöpft, ausgelaugt, ausgebrannt: Immer mehr Menschen fühlen sich in ihrem Berufsleben und in ihrem Alltag überfordert. Dann fällt schnell das Urteil „Diagnose Burn-out“. Doch dahinter verbirgt sich weder eine klar definierte Krankheit noch ein einheitlicher Begriff. Die Oberärztin Eva Rothermund von der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Uniklinik Ulm erklärt das Phänomen in ihrem Vortrag „Burn-out – urlaubsreif oder schon krank?“

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„Burn-out steht für einen Zustand körperlicher und geistiger Erschöpfung, der aufgrund arbeitsbedingter Herausforderungen entsteht. Dies kann sich ganz unterschiedlich äußern. Es hat sowohl mit der Person als auch mit den Bedingungen am Arbeitsplatz zu tun“, sagt die Ulmer Medizinerin. Es kann jeden treffen, besonders gefährdet sind Menschen, die alles perfekt machen wollen oder einen sehr hohen Leistungsanspruch an sich und andere haben.

Ständig erreichbar

„Durch die Neuen Medien müssen viele Menschen ständig erreichbar sein“, erklärt Rothermund. Es falle schwer, zur Ruhe zu kommen. Abschalten in der Freizeit sei oft kaum mehr möglich. Dies münde häufig in chronischen Stress. Auch das Arbeitspensum und der Termindruck würden oft zunehmen, zudem müsse immer schneller gearbeitet werden. Es sei schwierig, hier aus eigener Kraft gegenzusteuern – ganz im Gegenteil: „Betroffene leiden unter Schlafstörungen, stehen aber zum Teil eine Stunde früher auf, um ins Büro zu gehen und das anvisierte Pensum zu schaffen“, beschreibt Rothermund einen typischen Teufelskreis. Statt sich Ruhe und Auszeit zu gönnen, investiere man noch mehr Zeit und strenge sich noch mehr an, um den gleichen Output zu haben. Dauerhafte Schlafstörungen, ständige Anspannung und innere Unruhe seien Alarmzeichen, die man ernst nehmen müsse. Denn dies sei ein Risiko für psychische und psychosomatische Erkrankungen.

Wenn chronischer Stress und permanente Überforderung längere Zeit anhalten, fehlt oft auch die Energie, den Alltag zu meistern. Zudem können Situationen nicht mehr bewältigt werden, die früher kein Problem waren. Dann kann es zur emotionalen Erschöpfung kommen. „Statt des Modebegriffs Burn-out sprechen wir von arbeitsbedingten Stressfolgeerkrankungen“, erklärt Rothermund. Die Folge können ein Hörsturz sein, ebenso auch Kreislaufprobleme oder Kopfschmerzen. Andere Menschen werden leicht reizbar und dünnhäutig. Betroffene fühlen sich psychisch und körperlich oft völlig ausgelaugt. Durch die fehlende Energie sind sie ständig müde, niedergeschlagen und gleichzeitig angespannt.„Ich kann einfach nicht mehr“, beschreiben dies die Betroffenen.

Schleichende Veränderung

Der erschöpfte Mensch verändert sich häufig. Er wird zynisch, flüchtet sich in Sarkasmus oder fängt beispielsweise an, Kollegen abzuwerten, wird gereizt und reagiert oft laut. Manche Menschen berichten, dass sie sich innerlich so sehr verändern, dass sie sich selbst nicht mehr wiedererkennen. Die Arbeit, die man einmal gerne gemacht hat, wird zur Qual und ist frustrierend. Für das Privatleben heißt dies mitunter, dass man vom Partner, Kindern und Freunden genervt ist. Als Folge distanziert man sich immer mehr. Soziale Kontakte werden weniger, man verkriecht sich.

In diesem Teufelskreis ist an effektives und kreatives Arbeiten nicht mehr zu denken. Auch die Kompetenz kann nicht mehr eingebracht werden. Viele dieser Symptome liegen auch bei einer Depression vor – und sind daher auch oft die Folge bei totaler Erschöpfung, ebenso wie viele weitere Erkrankungen. Häufige Infekte zeigen, dass auch das Immunsystem geschwächt ist. Der Stoffwechsel kann durcheinandergeraten, was etwa zu einem hohen Blutzuckerspiegel führt. Auch Hauterkrankungen sind möglich. Zudem durchleiden Betroffene oft Angstzustände, und Alkohol kann zum Problem werden.

Konflikte ansprechen

,,Aufgrund der unterschiedlichen Ursachen von Burn-out sollten die Arbeitsbedingungen in einer Therapie eine wichtige Rolle spielen“, sagt die Ärztin. Für die Rückkehr in die Arbeitswelt nach längerer Erkrankung gibt es unterschiedliche Modelle. Eines jedoch klappt nicht: „Werden Sie erst mal richtig gesund, und kommen Sie dann wieder“ hören Betroffene oft von ihrem Arbeitgeber. Doch man könne sich nicht nur ausruhen und dann wieder in den Alltag zurückkehren, weiß Rothermund. Es gehe darum, Konflikte anzusprechen und sich gewissermaßen wieder „aufzutrainieren“.