Plastiktüten gibt’s ab Juli nur noch gegen Geld Foto: Fotolia

Die Plastiktüte ist Sinnbild für die moderne Wegwerfgesellschaft. Geld für sie zu verlangen ist deshalb sinnvoll, sagt Sandra Markert. Aber nicht ausreichend.

Berlin -

Berlin - Eine Plastiktüte ist in einer Sekunde hergestellt. Dafür braucht es jede Menge Wasser, Energie und acht Esslöffel Rohöl. Vom Kunden wird diese Tüte dann zwanzig Minuten verwendet, bevor sie auf einer Mülldeponie landet, in der Umwelt oder im Meer. Dort rottet sie rund 500 Jahre vor sich hin – es sei denn, es frisst sie vorher ein Tier und erstickt qualvoll daran. Wiederverwertet wird nur ein Bruchteil der Plastiktüten. In Deutschland ist das beispielsweise nur möglich, wenn diese wie vorgesehen im gelben Sack entsorgt wird – und nicht wie gern praktiziert als Mülltüte im Restmüll.

Plastiktüten sind Sinnbild für die moderne Wegwerfgesellschaft. Für sinnlose Umweltverschmutzung. Für die Verschwendung endlicher Rohstoffe. Kurz für ein Leben, das auf Dauer nicht funktionieren kann. Deshalb ist es gut, dass die EU eine Richtlinie verabschiedet hat, um den Tütenverbrauch zu reduzieren. Bis Ende 2025 soll jeder EU-Bürger jährlich weniger als 40 Mal zu einer Plastiktüte greifen. Derzeit passiert das im Schnitt 175 Mal. Um dieses Ziel zu erreichen, setzen Deutschland und andere Länder nun auf eine Abgabe von etwa 20 Cent pro Tüte.

In Irland hat die Einführung einer ähnlichen Abgabe innerhalb kurzer Zeit dazu geführt, dass der Tütenverbrauch um 90 Prozent zurückgegangen ist. Umweltpsychologen erklären sich diesen Erfolg damit, dass die Kunden beim Einkaufen in ihrer Routine gestört werden, wenn die Tüte plötzlich Geld kostet. Sie fangen an zu überlegen, ob sie das Transportmittel tatsächlich brauchen – oder künftig nicht einfach einen Rucksack, einen Korb oder einen Mehrwegbeutel mit ins Bekleidungsgeschäft, in den Elektronikladen oder ins Kaufhaus nehmen. So wie sie das in deutschen Supermärkten schon seit Jahren machen. Und so wie es die Menschen bis in die 1950er Jahre überall gemacht haben. Denn bis dahin gab es überhaupt keine Plastiktüten.

Klar würde ein komplettes Verbot der Tüten den Verbrauch noch schneller und stärker reduzieren. Allerdings müsste man dann in jede Apotheke, jede Tankstelle und jedes Kiosk gehen, um die Einhaltung des Verbots zu kontrollieren. Ein immenser Aufwand. Außerdem weiß man aus der Erziehung: Strikte Verbote wecken selten Verständnis, häufig aber den Wunsch, sie trotzig erst recht zu umgehen. Man erinnere sich an das große Glühbirnen-Horten bevor eben diese verboten wurden.

    Die Abgabe ist also ein Schritt in die richtige Richtung – leider aber ein viel zu kleiner. Denn der große Haken an der EU-Richtinline ist: Sie gilt nur für einen kleinen Teil der Plastiktüten. Ausgenommen von der Kostenpflicht sind beispielsweise die dünnen Hemdchen-Beutel, die es in der Obst- und Gemüseabteilung gibt. Auch diese schaden der Umwelt und landen nach ganz kurzer Nutzung wieder im Müll. Zwar haben einige junge Start-ups wiederverwertbare Obst- und Gemüsebeutel entwickelt, die ähnlich aussehen wie kleine Einkaufsnetze oder Jutebeutel. Da man diese in den Supermärkten aber vergeblich sucht, weiß kaum ein Kunde, dass es so etwas überhaupt gibt.

Eine weitere Schwachstelle der EU-Richtlinie: Sie fokussiert sich nur darauf, dass weniger Plastiktüten verbraucht werden sollen. Was die Kunden stattdessen wählen, spielt keine Rolle. In Italien wurden statt der herkömmlichen Plastiktüten Biobeutel eingeführt. Ihre Umweltfreundlichkeit ist umstritten. In Deutschland schenken viele Bekleidungsgeschäfte den Kunden nun dicke Papiertüten. Diese haben meist sogar eine schlechtere Energiebilanz als Plastiktüten. Wenn die Kunden hier doch wieder zugreifen, statt ihre Mehrwegtaschen mitzubringen, schafft man für die Umwelt nur eins: ein neues Problem.

sandra.markert@stzn.de