Für viele immer noch unvorstellbar: Weihnachten ohne Krippe Foto: Verband Erzgebirgischer Kunsthan

Weihnachten hält allen Moden stand, findet StN-Redakteur Markus Brauer.

Stuttgart - Lametta ist out. Die schmalen goldenen und silberfarbenen Glitzerstreifen, die früher fast jeden Christbaum schmückten und ihn wie ein Wesen aus einem Märchenland aussehen ließen, sind längst in der Mottenkiste weihnachtlichen Brauchtums verschwunden. Vom Kassenschlager zum altbackenen Ladenhüter. "Früher war mehr Lametta", klagt Opa Hoppenstedt im legendären Loriot-Sketch "Weihnachten bei Hoppenstedts". Lametta ist quasi ein Symbol für den gesellschaftlichen Wandel des Weihnachtsfestes. Früher war nicht nur mehr Lametta - früher waren auch mehr Vorlesegeschichten, mehr selbst gesungene Weihnachtslieder vor dem geschmückten Tannenbaum, mehr selbst gebackene Lebkuchen und Plätzchen. Nicht zu vergessen die wochenlange Vorfreude auf die Bescherung, der man als Kind entgegenfieberte, weil man bis zuletzt nicht wusste, was das Christkind bringen würde. Und dann die Erzählungen von Peter Rosegger, die zu jedem Fest dazugehörten. Das Herz hängt an solchen liebgewonnenen Bräuchen.

Früher war zu Weihnachten vielleicht nicht alles besser, aber vieles anders. Doch auch das Christfest muss mit der Zeit gehen. Der Münchner Brauchtumsforscher Rainer Wehse erforscht den Wandel des Festes. Dass wir in einer Zeit leben, in der die Menschen immer schneller immer mehr Neues konsumieren, mache sich auch bei Weihnachten bemerkbar, so der Volkskundler. Zum Glück gibt es immer noch die zeitlosen Rituale: das Glöckchen, das zart die Bescherung einläutet, der illuminierte Baum, die vielen bunten Kugeln, das üppige Festtagsessen. Doch mehr und mehr werden die Vorbereitung und das Fest selbst nach außen verlagert, hat Wehse festgestellt. Weihnachten verlässt den familiären Rahmen. Die Zahl der Weihnachtsemigranten wächst, die sich dem Rummel entziehen und in Urlaub fahren. Man bleibt nicht einsam im Kämmerlein und sagt: "Nee, ich mach' da nicht mit", sondern gehört zu den zehn Prozent, die einfach anders feiern.

Hoffnung auf den himmlischen Retter

Manche Kirchenmänner sehen düstere Wolken über dem Geburtsfest Jesu von Nazareth aufziehen, das in einem Konsummeer unterzugehen droht. Kitsch und Klischee, Konsum und Kommerz könnten irgendwann alles sein, was vom volkstümlichsten aller christlichen Feste übrig bleibt, so ihre Befürchtung. Viel zu früh, oft schon Anfang September, liegen weihnachtliche Spezereien in den Regalen der Kaufhäuser und Supermärkte, werden die Bürger mit kitschiger Deko und süßlichen Liedern auf den Konsum-Höhepunkt des Jahres eingestimmt. Trotz der nachvollziehbaren Sorge um die Sinnhaftigkeit und Authentizität des Festes sollte man aber mehr Vertrauen haben. Weihnachten ist stark - so stark wie kein anderes Fest, weil die Sehnsucht nach dem Heiland und seiner Verheißung einer heilen Welt fundamental und urmenschlich ist. Seine Friedensbotschaft entspringt einem tiefen Grundbedürfnis, das allen Menschen und Religionen zu eigen ist. Keine Zeitströmung, mediale Verflachung oder agnostische Leugnung könnte die Hoffnung auf den himmlischen Retter aus der Welt schaffen.

Weihnachten ist so wandelbar, dass es alle Geistesströmungen, Moden und Bagatellisierungen unbeschadet überdauert. Das gilt auch für die religiöse Indifferenz und das Verdunsten des Glaubens. Am Heiligabend sind die Gottesdienste bis zum Bersten voll. Menschen, die das ganze Jahr keine Kirche von innen sehen, selbst Ausgetretene und Atheisten, können sich seinem Zauber nicht entziehen. Kirchliche Amtsträger kritisieren, dass manche Besucher nur eine melancholische Stimmung überfällt und sie ohne religiösen Impuls herbeieilen. Weihnachten mag kein exklusiv christliches Fest mehr sein, aber seine Faszination ist trotz Kommerzialisierung und Säkularisierung ungebrochen. Auch 2010 ist es unausrottbar - und das allein schon ist Grund zu großer Freude.