Bei Stundenlöhnen von unter einem Euro können die meisten Autorinnen und Autoren vom Schreiben nicht leben. Manche rettet die Eichhörnchen-Methode. Ein Einblick in die finanzielle Selbstausbeutung der Branche.
Es ist ein rauschendes Lesefest, das alle Entbehrungen der Romanautoren vergessen lässt: Bis zu 300 000 Besucher erwarten die Leipziger Buchmesse und „Leipzig liest“ ab diesem Donnerstag – und würden diese je nur ein Buch kaufen, ginge es den Autorinnen und Autoren, die ihre neuen Titel präsentieren, schon ein bisschen besser. So aber ist das berühmte Buchfest auch eine riesige potemkinsche Fassade, hinter der die versammelte Autorenschaft meist vergeblich der Einnahmen harrt.
Von der Buchmesse erhalten sie für ihre Lesungen in der Regel so viel wie von ihren Verlagen, nämlich nichts. Sie werden als Marketing gesehen, das sich noch rechnen soll. Wie so oft, soll auch hier die Kultur erst einmal kostenlos sein.
„Jungen Leuten rate ich, erst einmal nach einem Brotberuf zu schauen, wenn sie Schriftsteller werden wollen“, sagt die Stuttgarter Autorin Anna Katharina Hahn. Seit sie 2009 „Kürzere Tage“ veröffentlichte, zählt sie zu jenen oberen fünf bis zehn Prozent, die vom literarischen Schreiben leben können. Im renommierten Suhrkamp-Verlag publiziert Hahn seitdem im Vier-Jahres-Rhythmus, eigentlich viel zu wenig, da sie „leider eine elend langsame Schreiberin“ sei, wie sie sagt, doch immerhin verkaufen sich die Bücher sehr gut. Der Stuttgart-Roman „Aus und Davon“ schaffte es 2020 sogar auf die Spiegel-Bestsellerliste.
Noch mehr freute sich Hahn aber über die rund 40 Lesungen mit dem Buch, denn Lesehonorare sind mindestens ebenso wichtig wie die Buchverkäufe selbst – beim Gros der Autoren sogar noch wichtiger. Noch immer lebe sie hauptsächlich von dem Geld, das sie durch Lesungen verdiene, betont sie. „Ich bin dann wie ein Eichhörnchen, das für die schlechten Zeiten statt der Nüsse Geld sammelt, ich nehme fast alles an.“ Zudem schreibt sie eine Kolumne für die Stuttgarter Zeitung und bietet ab und zu Essays oder Reportagen an. Manchmal kommt ein Preis oder Stipendium dazu.
Freiberufliche Autoren verdienen mehr als doppelt so viel wie Autorinnen
500 Euro fordert der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) als Lesehonorar, wobei die Zeit für die Vorbereitung und lange Anfahrtswege in die Buchhandlungen der Provinz mit abgegolten sind. Der VS sammelt und analysiert derzeit Steuerdaten von jenen, die sich beim Finanzamt als Schriftsteller gemeldet haben. Nach vorläufigen Zahlen betrug das durchschnittliche Einkommen 2019 rund 17 000 Euro. Eine Studie der Weltorganisation für geistiges Eigentum (Wipo) kam zu einem ähnlichen Ergebnis, als man Daten der Künstlersozialkasse als Basis nahm.
Aktuellere Daten gibt es nicht, wie es überhaupt an Daten mangele, wie VS-Vorsitzende Lena Falkenhagen beklagt. „Mit unserer Studie wollen wir endlich eine Datengrundlage schaffen, um bessere Fördermöglichkeiten und Strukturen für Autorinnen und Autoren zu erreichen.“ Der Durchschnittswert beschreibe die Realitäten aber kaum – die Spanne reiche von wenigen Euro bis zu den Einnahmen eines Bestsellerautors. Freiberuflich schreibende Männer verdienten 2019 im Übrigen im Schnitt mehr als doppelt so viel wie Frauen.
„Die Schere zwischen wenigen gut verdienenden Autorinnen und Autoren und dem Rest ist viel größer geworden“, sagt Daniel Beskos von der Kurt-Wolff-Stiftung, die die Interessen unabhängiger Verlage vertritt. Die Stiftung bemüht sich um mehr Transparenz in der Branche – auch was den Verdienst an einem Buch betrifft.
Die Stiftung schuf mit einem fiktiven literarischen Titel – Hardcover mit Lesebändchen, Auflage 2000, die 240 Seiten für 24 Euro – ein aufschlussreiches Rechenbeispiel, das auch die Leser überraschen soll. Diese wissen oft nicht, dass ein Autor vom Buch nur rund zehn Prozent des Netto-Ladenpreises erhält – und das ist schon großzügig berechnet. Der Verlag selbst bekommt gut die Hälfte des Ladenpreises.
Zieht man aber die Ausgaben für Lektorat, Gestaltung, Druck, Vertrieb, Pressearbeit und Werbung ab, bleiben auch hier nur noch zwölf Prozent. Kein Wunder, dass in der Branche der Gelderwerb nicht die Hauptmotivation der Beschäftigten ist. Am meisten verdient am Ende der Groß- und Buchhandel. Reich wird man aber auch hier in der Regel nicht.
Idealismus und Selbstausbeutung halten die Literaturbranche am Laufen
Nach wie vor wird die Branche von wenig Geld, viel Idealismus und noch mehr Selbstausbeutung am Laufen gehalten. Während jeder Handwerker für eine Reparatur einen hohen Stundenlohn bekommt, können Autorinnen davon nur träumen. Verrechnet man die oft mehrjährige Arbeitszeit für einen Roman mit den Buchverkäufen, erzielten die meisten einen Stundenlohn im unteren Cent-Bereich. Doch auch die Verleger der kleineren, unabhängigen Verlage zahlen sich selbst oft nur geringe Stundenlöhne aus, während in den Publikumsverlagen die Bestseller die Restseller querfinanzieren.
Die Stiftung setzt sich deshalb für eine bessere strukturelle Förderung der unabhängigen Verlage ein, die dann wiederum ihren Autoren höhere Vorschüsse und Honorare zahlen könnten. „Letztlich käme es den Autorinnen und Autoren zugute“, sagt Beskos. „Vor allem aber hilft es, die Vielfalt der Bücher zu erhalten.“
Dazu trägt auch Anna Katharina Hahn bei – Anfang September erscheint ihr Gegenwartsroman „Der Chor“, in dem Frauen aus den unterschiedlichsten Generationen und Schichten beim gemeinsamen Singen aufeinandertreffen. Mit dem Vorschuss, der mit den Buchverkäufen wieder verrechnet wird, konnte sie für die Schreibzeit zumindest einen Teil der monatlichen Rechnungen begleichen. Dennoch hängt selbst bei ihr ein Teil der Lebensplanung vom regelmäßigen Einkommen ihres Mannes ab. „Sonst hätte ich mich nicht getraut, mit ihm zwei Kinder großzuziehen“, sagt sie. „Eigentlich würde ich ein solches Modell keiner Partnerschaft empfehlen, aber als Autorin ging es nicht anders.“
In Leipzig habe sie im Übrigen schon oft gelesen, natürlich unbezahlt. Für einen Messebesuch ohne eigenes Buch rät sie anderen Schriftstellerinnen zu Gelassenheit. „Sonst stellt man sich die Existenzfrage, weil es dort so viele Autorinnen gibt.“