Leo Neugebauer hat allen Grund zum Strahlen und Feiern. Foto: dpa/Mikala Compton

Der 22 Jahre junge Leo Neugebauer aus Leinfelden, der in den USA studiert, nimmt Jürgen Hingsen die deutsche Bestmarke im Zehnkampf ab – und ordnet das unserer Redaktion gegenüber ein.

Morgens um 4 Uhr schwebte Zehnkämpfer Leo Neugebauer (LG Leinfelden-Echterdingen) immer noch auf Wolke sieben, erst dann fiel er ins Bett. Der 22-jährige Student aus Leinfelden-Echterdingen-Stetten hatte zuvor bei den US-Collegemeisterschaften in Austin/Texas eine große Sensation geschafft, indem er den 39 Jahre alten deutschen Rekord im Zehnkampf von Ex-Weltrekordler Jürgen Hingsen um vier Punkte auf 8836 Punkte gesteigert hatte. Neugebauer verbesserte dabei seine eigene Bestleistung vom März dieses Jahres um unglaubliche 358 Punkte und ist damit Weltjahresbester, 136 Punkte vor dem bislang führenden Kanadier Pierce Lepage.

 

„Das ist großartig, ich kann es noch gar nicht realisieren“, sagte Neugebauer nach seinem Husarenstück. Sein Coach habe ihm nach dem abschließenden 1500-Meter-Lauf zugerufen: „Du bist in Deutschland der größte Zehnkämpfer aller Zeiten.“ Spätestens da war Neugebauer klar, dass er einige Tage brauchen wird, um alles zu begreifen.

Wie Jürgen Hingsen reagiert

„Ich bin nicht traurig, dass ich meinen Rekord verloren habe“, sagte Jürgen Hingsen auf die Meldung aus den USA am Freitagmorgen beim Frühstück. „Dass er so lang gehalten hat, zeigt, wie gut er war.“ Der deutsche Zehnkampf hat mit den Olympiasiegern Willi Holdorf (1964), Christian Schenk (1988), den Weltmeistern Torsten Voss (1987), Niklas Kaul (2019) und den Weltrekorden von Kurt Bendlin sowie Guido Kratschmer eine fast legendäre Geschichte aufzuweisen. Teil davon ist auch Frank Busemann, Silbermedaillengewinner bei den Olympischen Spielen 1996. Sie alle hat Neugebauer jetzt überholt.

„Diese Leistung eines gerade 22-Jährigen ist unfassbar, das ist der Hammer“, kommentierte der Mainzer Guido Kratschmer, der 1980 in Bernhausen mit 8649 einen Weltrekord aufgestellt hatte. „Ich denke, er wird Richtung 9000 Punkte marschieren!“ Diese magische Marke haben bislang nur vier Zehnkämpfer überboten: Kevin Mayer (Frankreich, 9126), Ashton Eaton (USA, 9045), Roman Sebrle (Tschechien, 9026) und Damian Warner (Kanada, 9018).

Sprung auf Platz acht der ewigen Zehnkampf-Bestenliste

Neugebauer hat jetzt einen außergewöhnlichen Sprung von Platz 68 auf Rang acht der ewigen Bestenliste des Zehnkampfs geschafft. Hinter der nackten Zahl von 8836 Punkten steckt eine sportliche und mentale Meisterleistung. „Leo ist ein Warmblüter wie ich“, beschreibt Vater Biyeila Neugebauer, der aus Kamerun stammt, seinen Filius. Offen, ehrlich und ruhig sei er.

Sein Sohn hat auf dem Weg zum Rekord bei seinem Heimwettkampf in Austin gleich sieben persönliche Bestleistungen verbessert. „Am meisten gefreut haben mich die 47,00 Sekunden über 400 Meter, andere Bestleistungen wie die 10,61 Sekunden über 100 Meter hatten sich bereits im Training abgezeichnet“, lautete seine erste Analyse.

Das Gegenteil von Niklas Kaul

Vergleiche mit anderen deutschen Zehnkampfhelden liegen nahe. Mit 2,00 Metern und 104 Kilo hat er exakt die gleichen körperlichen Voraussetzungen wie einst Jürgen Hingsen. Und wie sieht der Vergleich mit Welt- und Europameister Niklas Kaul aus? „Ich denke, wir sind ziemlich komplementär“, sagt der WM-Zehnte Neugebauer. „Dort, wo ich meine Stärken habe, hat Niklas eher Schwächen, und dort, wo er stark ist, beispielsweise beim Speer und über 1500 Meter, habe ich noch Defizite.“

Neugebauer weiß aber auch, dass die Kunst des Zehnkampfs gerade darin besteht, möglichst viele Disziplinen an zwei Tagen optimal zu gestalten: Schnellkraft sowie Ausdauer, Technik und Geschick am besten zu vereinbaren. „Ich denke, jetzt ist bei der WM im Sommer in Budapest und bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris eine Medaille möglich“, sagt der Business-Student.