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Sprinter plant bei den deutschen Meisterschaften neben dem Start über 100 auch den über 200 m.

Stuttgart - Dass Tobias Unger schnell sprinten kann, ist bekannt, häufig hinderten ihn aber Verletzungen an wichtigen Starts. Bei den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften am Wochenende in Braunschweig will der Kirchheimer beweisen, dass mit ihm bei der EM in Barcelona zu rechnen ist. Zumindest über 100 Meter.

"Das ist brutal", sagt Tobias Unger. Brutal. Der Sprinter meint das anerkennend, wenn er über Christophe Lemaitre spricht. Der Franzose hat kürzlich als erster Weißer die 10-Sekunden-Schallmauer über 100 m durchbrochen: 9,98. Für den Schwabenblitz aus Kirchheim/Teck, der seit diesem Jahr für München startet, ist das Herausforderung und Ansporn zugleich - bei der EM in Barcelona (27. Juli bis 1. August) will er weit kommen, vielleicht sogar bis ins Finale. Auf Platz fünf der europäischen Rangliste steht er - doch der 31-Jährige ist kein (Medaillen-)Träumer: "Gegen Leute wie Lemaitre oder Dwain Chambers habe ich keine Chance."

Immerhin: Unger hat in Mannheim kürzlich 10,14 Sekunden auf die Bahn gelegt, und bei den deutschen Meisterschaften will der amtierende 100-m-Meister seinen "Titel verteidigen und allen zeigen, dass ich gut drauf bin". So schnell wie in diesen Tagen war der Sportwissenschafts-Student noch nie, was vor allem auch daran liegt, dass er völlig verletzungs- und schmerzfrei ist. "So gut ging es mir seit drei, vier Jahren nicht mehr", bekennt Unger. In der Vergangenheit sträubte sich sein Körper häufig gegen die extremen Anforderungen - mal war's ein Fersensporn (2002), dann ein Überbein an der Ferse (2006) oder ein Achillessehnenriss (2008) und schließlich Arthrose im Sprunggelenk (2009) - alles vergessen.

Eigentlich sind die 100 m nicht die Paradestrecke des WM- und Olympiateilnehmers - über 200 m sorgte er bis 2006 als schnellster Weißer für Aufsehen, erst das schier endlose Verletzungspech zwang ihn auf die kürzere Distanz, auf der die Fußgelenke nicht so sehr belastet werden. Seit 2008 trat er bei Meetings und Meisterschaften fast nicht mehr über die 200-m-Distanz an. Das könnte sich in Braunschweig aber wieder ändern, auf der Meldeliste über die halbe Stadionrunde taucht sein Name auf. Unger mag keine halben Sachen mehr - er will wieder auf seine Lieblingsstrecke zurück. Der 200-m-Riese in ihm wacht langsam wieder auf. "Ich spiele schon länger mit dem Gedanken, ich würde sehr, sehr gerne über die Strecke antreten", verrät er.

Der Zeitplan meint es nicht gut mit dem deutschen 200-m-Rekordler (20,20): Das 100-m-Finale am Samstag (19.15 Uhr) ist nicht der Knackpunkt, aber am Sonntag steht die 4x100-m-Staffel um 12.15 Uhr auf dem Plan, um 13.20 Uhr finden bereits die 200-m-Vorläufe statt. Wenig Zeit zur Regeneration, schließlich soll die EM-Norm von 20,65 Sekunden geknackt werden. "Die Entscheidung", sagt Unger, "wird wohl nach der Staffel fallen." Mit Trainer Micky Corucle will er sich beraten, die Maxime lautet: Nichts riskieren, der EM-Start über 100m darf keinesfalls aufs Spiel gesetzt werden. Eine halbe Sache ist besser als keine ganze. Denn die EM fehlt dem Kirchheimer noch, 2002 in München und 2006 in Göteborg war er verletzt. Jetzt ist Tobias Unger 31 - Barcelona ist womöglich seine letzte Chance.