Jung, unbekümmert, erfolgreich: Dreispringer Max Heß und Sprinterin Gina Lückenkemper fliegen voller Vorfreude zu den Olympischen Spielen – und wollen auch in Rio glänzen. Foto: AP, Baumann

Gina Lückenkemper und Max Heß haben gerade ihr Abitur gemacht – und anschließend auch die Reifeprüfung bei der EM in Amsterdam bestanden. Die 19-Jährigen könnten die Gesichter der deutschen Leichtathletik werden.

Amsterdam - Max Heß: Würde es in der Leichtathletik einen Sprungdreikampf geben, der 19-Jährige wäre Weltklasse. Seine Bestmarke im Weitsprung liegt bei 8,03 Meter, im Dreisprung kommt er auf 17,20 Meter, und wenn er am Ende eines anstrengenden Trainings aus Lust und Laune noch etwas hochspringt, überquert er dabei auch schon mal 1,95 Meter. Weil es diesen Mehrkampf aber nicht gibt, musste sich der junge Chemnitzer spezialisieren – und spätestens seit der EM in den Niederlanden ist klar, dass er sich richtig entschieden hat: Der Dreispringer wurde sensationell Europameister.

Max Heß ist ein bemerkenswerter Typ. Weil er einerseits wirkt wie ein braver Bub, der gerade vom Mittagessen bei Mutti kommt. Andererseits ist er aber schon jetzt ein total cooler, abgezockter Athlet, der auch nach einem Erfolg nicht abhebt. Im Olympiastadion in Amsterdam genügte ihm ein gültiger Sprung, um nicht nur seine Bestleistung um 14 Zentimeter zu steigern, sondern gleich noch den Gold-Coup zu landen. Da er einen leichten Schmerz im Fuß verspürte, hatte er gepokert, und die Konkurrenten schafften es trotzdem nicht, ihn zu übertrumpfen: „Das war ein geiles Gefühl.“ Zu gewinnen. Und doch vor den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro nicht mehr riskiert zu haben als unbedingt nötig.

Heß zeichnet nicht nur seine Sprungkraft aus, sondern auch Schnelligkeit und gute Technik. Weil ihm zudem zuzutrauen ist, sich Lockerheit und Unbekümmertheit noch länger zu bewahren, gilt er als einer, der das Gesicht der deutschen Leichtathletik werden könnte. Was Erfolge in der Gegenwart allerdings nicht ausschließt.

Der Europameister („Am Dreisprung fasziniert mich das Gefühl der Schwerelosigkeit“) fliegt jedenfalls nicht ohne Ambitionen zu den Sommerspielen nach Brasilien. Mit 17,20 Metern liegt Heß auf Rang vier der Weltjahresbestenliste, ins olympische Finale will er auf jeden Fall. Wenn er es schafft, wäre das weniger überraschend als sein EM-Sieg. Denn der Dreispringer ist noch lange nicht am Ende seiner Entwicklung.

Der Abiturient (Schnitt 2,3) hat die Fähigkeit, Anregungen seines Trainers Harry Marusch enorm schnell und genau umzusetzen. „Er ist unglaublich lernfähig“, sagt Martin Jasper (VfB Stuttgart), die deutsche Nummer zwei, „Dreisprung ist eine sehr schwierige Disziplin, nur für ihn scheinbar nicht. Ich traue ihm zu, dass er schon in Rio 17,50 Meter springt.“ Dann wäre eine Medaille möglich. Abheben, so ist zu vermuten, würde Heß trotzdem nicht. Schließlich hat er Ziele, die noch weiter weg liegen: „Ich möchte mich langfristig in der Weltspitze etablieren.“ Einen vielversprechenden Anlauf hat er schon mal genommen.

Das Hauptziel von Gina Lückenkemper? Spaß haben!

Gina Lückenkemper: Das Leitmotiv des deutschen Teams bei der Leichtathletik-EM hieß „Shining under pressure“. Auch unter Druck zu strahlen, zu glänzen, zu brillieren – zu niemandem passt dieses Motto besser als zu Gina Lückenkemper (19). Auch noch kurz vor dem Start ist sie für jeden Spaß zu haben, schneidet Grimassen, macht kleine Tänzchen. Und bekommt auf der Bahn dennoch die Kurve. Über ihre Lieblingsstrecke, die 200 Meter, holte sie in Amsterdam ebenso Bronze wie mit der Sprintstaffel, und sie wurde hinterher nicht müde zu betonen, warum es derzeit so prächtig läuft: „Mein Hauptziel ist es, Spaß zu haben, das klappt wunderbar. Wenn ich es schaffe, auch in Rio Spaß zu haben, wird es auch dort rund gehen.“

Allerdings gehört schon mehr als nur ein bisschen Freude dazu, um die schnellste Deutsche über 100  und 200 Meter zu werden. Die Abiturientin (Schnitt 2,6) ist mit großem Talent für den Sprint gesegnet. Und mit der Gabe, ihr Potenzial auch dann abrufen zu können, wenn es zählt. „Wenn es darum geht, locker und dennoch fokussiert zu sein, ist sie ein absolutes Phänomen“, sagt ihr Trainer Ulrich Kunst, „sie hat das Potenzial für die absolute Weltspitze.“ Ob sie es ausschöpft, wird aber erst die Zukunft zeigen.

Bisher gab es im Leben von Gina Lückenkemper kein Tempolimit. Schon mit 15 Jahren startete sie bei der U-20-WM, beim Essen ist sie stets als Erste fertig, sie redet schnell, und seit sie den Führerschein hat, fährt sie auch noch ziemlich flott Auto. Folglich überrascht die Antwort auf die Frage, was sie am Sprint fasziniert, nicht sonderlich: „Der Rausch der Geschwindigkeit.“ Nun geht es darum, nicht irgendwann mit einem Kater aufzuwachen.

Die Dortmunderin hat es mit überschaubarem Trainingsaufwand unter die besten Europäerinnen geschafft. Fünf Einheiten pro Woche absolvierte sie neben der Schule – es gibt Athletinnen, die sich doppelt so oft schinden. Deshalb sagt Kunst: „Umfang, Kraft, Stabilität – es gibt einige Bereiche, in denen sich eine junge Athletin steigern kann. Wenn Gina ganz nach oben will, muss sie mehr trainieren. Aber sie ist clever genug, ihren Weg zu finden.“ Ausbremsen? Kann sich die flotte Blondine nur selbst.

Ihr nächster großer Auftritt steht in vier Wochen in Rio an. „Es ist Wahnsinn, schon mit 19 Jahren bei den Olympischen Spielen dabei zu sein“, sagt sie, „jetzt will ich auch dort zeigen, dass ich schnell rennen kann.“ Es könnte klappen. Denn unter Druck zu glänzen, ist genau das, was Gina Lückenkemper am besten kann.