Nach einer Operation kämpft sich Hürdensprinterin Nadine Hildebrand aus Stuttgart zurück in die nationale Spitze Foto: Baumann

Im Januar ist Nadine Hildebrand am Fuß operiert worden und kann bei den deutschen Meisterschaften nicht starten – dass sie ihren Titel über 100 Meter Hürden abgeben muss, stört sie aber kaum.

Stuttgart - Der Satz kommt spontan. Und ganz ohne Groll. „Ein paar Tage noch bin ich deutsche Meisterin“, sagt Nadine Hildebrand, „dann ist es vorbei.“ Denn bei den nationalen Leichtathletik-Meisterschaften in Nürnberg wird die 27-jährige Hürdensprinterin vom VfL Sindelfingen ihren Titel, den sie zweimal in Folge gewann, nicht verteidigen. Sie kann nicht, Nadine Hildebrand befindet sich im Aufbautraining.

Am 7. Januar war bei der 1,58 Meter großen Athletin in einer 45-minütigen Operation eine Knochen-Knorpel-Transplantation im rechten Knie vorgenommen worden. Dabei war Stück Knorpel samt darunterliegendem Knochen verpflanzt worden. Sechs Wochen durfte sich Hildebrand nur mit Gehhilfen bewegen, danach begann das Aufbautraining. „Einen genauen Zeitplan habe ich nicht“, sagt sie, „ich weiß nicht, wie das Knie die Belastung verträgt.“ Zwangsläufig hat sich die quirlige Sportlerin mit der Situation arrangiert, auch wenn es der EM-Sechsten schwerfällt. „Aber alles zu vergeigen, nur weil ich es zu früh wollte, wäre ärgerlich.“

„Meine Verletzungs-Stempelkarte ist voll“

Auch ihr Trainer Werner Späth bremste von Anfang an zu ehrgeizige Pläne. „Er hat klipp und klar zu mir gesagt: Erst wenn du die 100 Meter unter 20 Sekunden laufen kannst, darfst du zu mir kommen.“ Ihre Bestzeit über die 100 Meter mit zehn Hürden steht bei 12,71 Sekunden.

„Meine Verletzungs-Stempelkarte ist voll“, sagt die Hürdensprinterin, weil sie beinahe in jeder Saison mehr oder weniger schwere Verletzungen hatte. Nun folgte die erste Operation. Obwohl das Training ausfiel, in ein großes Loch ist Nadine Hildebrand nicht gefallen. „Die Trainingszeit wird durch die Reha und Physiotherapie aufgebraucht“, erzählt sie. Der Tagesablauf der Athletin, die halbtags als Anwältin in einer Stuttgarter Kanzlei arbeitet, ist prall gefüllt; zumindest bis Ende Juli. Dann läuft ihr Vertrag aus, doch die Juristin hofft, bald einen neuen Arbeitsplatz zu finden.

Mitte Juni war Nadine Hildebrand auf die Kunststoffbahn zurückgekehrt. Davon hatte sie gleich überglücklich auf ihrer Facebook-Seite gepostet: „Die erste ‚Hürdeneinheit‘ seit der OP! Fühlt sich sooo super an, endlich mal wieder das machen zu können, was ich liebe!!!!“ Dabei handelt es sich lediglich um lockeres Techniktraining. Noch nichts in hoher Geschwindigkeit, Tempoläufe sind tabu. „Weil das rechte Bein noch nicht so kräftig ist, würde ich mir eine falsche Technik angewöhnen.“ Es fällt Nadine Hildebrand noch immer sichtlich schwer, ihren Enthusiasmus zurückzunehmen. Letztlich aber siegt doch die Vernunft.

Nach der Operation hatte sich die Feuerbacherin in der Szene rar gemacht. Nur ganz sporadisch informierte sie sich im Internet. „Die Ergebnisse bringen mir nichts“, begründet sie ihr Verhalten. Lediglich zu den Deutschen Hallen-Meisterschaften war sie nach Karlsruhe gekommen. Sie wollte ihre Trainingskollegin Sabrina Lindenmayer unterstützen. „Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie im Training plötzlich ganz allein war.“ Bronze war der Erfolg der moralischen Unterstützung.

Im täglichen Training kann sich Hildebrand mittlerweile schon über kleine Verbesserungen freuen. Anfang Juli postete sie: „Fortschritte diese Woche: Hürdenlaufen über 60 cm Hürden und sogar meine neuen Spikes ausprobiert!!!“ Im Wettkampf sind die Hindernisse 84 Zentimeter hoch. Es wird aber noch ein langer Weg zurück zu alter Stärke. Aber sie freut sich über jede Hürde. „Ich brenne jetzt mehr“, sagt die Athletin. Auch auf weitere Titel. Die Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften 2016 finden am 18. und 19. Juni in Kassel statt.