Der dänische Meisterregisseur Lars von Trier schmollt, Dietrich Brüggemann setzt konsequent katholischen Fundamentalismus in Szene und Dominik Graf verunglückt ein Schiller-Film – Eindrücke von einem ereignisreichen Berlinale-Wochenende.
Berlin – Lars von Trier trägt ein T-Shirt mit der Goldenen Palme von Cannes und den Worten „persona non grata“. Wegen uneindeutiger Äußerungen über Hitler wurde der einstige Liebling von Cannes (Goldene Palme 2000 für „Dancer in the Dark“) 2011 aus dem Festival-Paradies an der Côte d‘Azur verbannt; Dass er nun in Berlin nachtritt, wo außer Konkurrenz der erste Teil von „Nymphomaniac“ läuft, lässt tief blicken.
Zur Pressekonferenz schickt er seine Darsteller Uma Thurman, Stacy Martin, Shia LaBeouf, Stellan Skarsgard. „Es wurde zu viel über den Film spekuliert und man ist es irgendwann leid, sich ständig äußern zu müssen“, sagt Martin auf die unvermeidliche Frage nach den Sexszenen. LaBeouf, finstere Miene, die Baseballkappe tief im Gesicht, legt nach: „Die Möwen folgen dem Fischkutter, weil sie glauben, dass ihnen Sardinen zugeworfen werden.“ Dann steht er auf und verlässt die Pressekonferenz, nach kaum fünf Minuten.
Die Berlinale hat ihren ersten kleinen Eklat – und man kann sie verstehen. „Nymphomaniac“ ist natürlich kein Pornofilm. Nach der verstörenden Beziehungsschlacht „Antichrist“ und dem tief berührenden Weltuntergangsdrama „Melancholia“ widmet von Trier sich nun großen Fragen des Menschseins: Sich selbst spüren, einer Sucht verfallen, würdig abtreten.
Die sexbesessene Joe (Charlotte Gainsbourg) erzählt dem reifen Seligman (Stella Skarsgard) von einer Männerjagd als Heranwachsene – und er stellt Analogien zum Angeln her, zu Verhaltensmustern und Strategien von Beute und Jäger. Er referiert über die Bachsche Polyfonie und sie erklärt, wie drei ihrer unzähligen Männer im Zusammenklang ihre Lust besänftigen konnten. Das geniale Drehbuch ist ein Abgrund, in dem sich das ganze Sein spiegelt, virtuos bebildert mit Rückblenden, Grafiken, geteilter Leinwand. Eiskalt spielt Newcomerin Stacy Martin die junge Joe, sie ist von Triers Lolita und hat in der Langfassung tatsächlich explizit Sex, auch mit LaBeouf – aber immer dramaturgisch begründet.
In der Konkurrenz lieferte Dietrich Brüggemann mit seinem Schocker „Kreuzweg“ nach „Jack“ den zweiten deutschen Beitrag mit Bärenchancen. Die 14-jährige Maria wächst in einer fundamentalistisch katholischen Familie auf und zerbricht an den strengen Regeln – inszeniert analog zur Passion Christi in 14 bewegten Tafelbildern, mit statischer Kamera, fast ungeschnitten. Das Ensemble spielt die langen Sequenzen bravourös durch. Neuentdeckung Lea van Acken als Maria trägt den Film, noch ein Kind, sich ihrer selbst aber schon bewusst. Vorbild sei die Pius-Bruderschaft, sagt Brüggemann: „Das ist ja keine Sekte, die machen nur, was der Katholizismus schon immer macht, sie lehnen nur einige liberalisierende Reformen des 20. Jahrhunderts ab.“
Wo er inhaltlich und visuell konsequent ist, verunglückt Dominik Grafs Schiller-Film „Die geliebten Schwestern“, ein Kostümdrama mit Kutschen und Kerzen. 1788 gerät der Dichter im thüringischen Exil in ein Liebesdreieck mit den Schwestern Charlotte von Lengefeld und Caroline von Wolzogen – und immer wieder ragen große Bilder aus der Fernsehspielästhetik. Doch Graf vertraut ihnen nicht: Die Schauspieler lesen Briefe ihrer Figuren vor, sprechen stellenweise gar frontal in die Kamera, und über allem schwebt zusätzlich ein Off-Erklärbär.
Florian Steter, in „Kreuzweg“ stark als eifernder Priester, bleibt als Schiller kantenlos, die gestelzte Sprache klingt bei ihm aufgesagt wie bei Henriette Confurius als Charlotte; das Feuer der Leidenschaft brennt so richtig nur in Hannah Herzsprung als Caroline. Figurentableau und Handlung fransen über drei Stunden aus, und über Schillers Werk wird nur geredet, kein Freiheitsruf des Marquis von Posa zur französischen Revolution, keine Lyrik zur Liebe. Der große Dichter hätte mehr verdient – diese starke Geschichte schreit nach einem Remake.