Auf erschütternde Weise schildern bei Markus Lanz Betroffene die Flutkatastrophe vom Juli 2021 – mit klaren Schuldfragen. Und CDU-Landesminister Herbert Reul blockt ab.
Diese Schilderungen der Betroffenen aus dem Ahrtal am Jahrestag der Flutkatastrophe gingen am Donnerstagabend bei Markus Lanz doch unter die Haut. Wie die Hausbesitzerin Maria Dunkel, Ende 60, im fast lakonischen Ton vom Morgen danach erzählte, als ihr Mann aus dem Fenster schaute und bemerkte: „Maria, die Häuser sind weg.“ Denn vier Nachbarhäuser waren in einem Krater im Dorf Erfstadt-Blessem versunken. Und wie sie noch mit ihrem letzten Balken auf der Akkuanzeige des Handys – der Strom hatte sich mit einem Knall gegen 1 Uhr nachts und einer Explosion des Trafohäuschens verabschiedet – einen Notruf an ihre Freundin absetzte.
Bei Regen geht sie ans Fenster
„Warum sind wir nicht gewarnt worden?“ fragt Maria Dunkel. Und sie habe auf eine Rettung gewartet, „aber da kam keiner“. Irgendwann sei „die Bundeswehr einmarschiert“, da musste sie sich Reden anhören, wonach „hier“ eigentlich kein Mensch mehr sein könne. Doch, habe sie gesagt, „wir sind da“ und dort in den Nachbarhäusern warteten auch andere noch auf Rettung. Die Flut hat Maria Dunkel so mitgenommen, dass sie heute noch Schlafprobleme hat und bei Regen ans Fenster geht, um nach dem Wasser zu schauen. „Ich habe immer eine Tasche gepackt mit dem Nötigsten, um rasch fortzukönnen.“ Mit ihrem Mann ist sie in ihr beschädigtes Haus zurückgekehrt -widerwillig, auch aus finanziellen Gründen.
Die Flut von 1910 war auch schlimm
Auch die Berichte des in Dernau lebenden Feuerwehrmannes David Fuhrmann waren ergreifend. Fuhrmanns Familie hat einen kleinen Campingplatz an der Ahr und daher immer einen Blick auf das Wasser: Muss man evakuieren, weil etwa eine Flut wie 2016 mit Pegelständen von 3,60 oder 3,70 Meter kommt? „Es konnte doch keiner ahnen, dass da Pegelstände von neun bis zehn Meter auf uns zukommen. Es war unbegreiflich“, so Fuhrmann. Es habe wohl schon 1910 eine Hochwasserkatastrophe an der Ahr gegeben, aber die sei den Menschen nicht mehr so präsent gewesen.
Tote hätte verhindert werden können
Was David Fuhrmann aber bis heute nicht versteht: „Das Hochwasser war schon in Müsch, es braucht viereinhalb bis fünf Stunden bis nach Dernau – da hätte man den Menschen doch klar machen können, da kommt was!“ Dass in einem Wohnheim in Sinzig zwölf Menschen mit Behinderungen starben, das führt Fuhrmann auch auf die fehlende Warnung zurück. Er ist überzeugt: „Das System hat versagt.“
Antrag auf Entschädigung ist „eine Tortur“
Auch die Aufarbeitung der Katastrophe ging nicht reibungslos. Die Beantragung von Hilfsgeldern sei viel zu bürokratisch gewesen. Dass 80 Prozent der Schäden vom Staat übernommen werden könnten, das sei „eine Ansage“, hieß es allenthalben, zumal es noch private Spenden gab. „Aber das Antragsverfahren war eine Tortur, für meine Eltern eine unlösbare Aufgabe“, berichtet der Sohn von Maria Dunkel, Thomas Dunkel. Der Weg zur Entschädigung sei „sehr schleppend“.
Minister Reul hat immerhin eine Antwort parat
Zumindest in dem Punkt konnte der einzige geladene Politiker in der Runde, der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU), eine Antwort geben: Er könne nicht für das ebenfalls betroffene Rheinland-Pfalz sprechen, aber NRW habe immerhin „Leute hingeschickt“, die den Flutopfern beim Ausfüllen der Anträge geholfen hätten. Im übrigen könne man nicht einfach nur „Zettel“ ausfüllen, wo Schadensbeträge von 50.000 oder 100.000 Euro eingetragen werden. Man müsse auch Missbrauch vorbeugen: „Es sind ja auch Leute unterwegs, die nicht so anständig sind.“
Sind die Wetterdaten zu unverständlich?
Was die Kritik am mangelnden Warnsystem anbelangte, blockte Reul allerdings ab. „Natürlich ist nicht alles glatt gelaufen“, so der Minister. Aber er halte nichts davon, die Welt immer in Schuld und Unschuld einzuteilen. Reul stellte die These auf, dass die Daten der Wetterexperten nicht schnell genug an die Entscheider weitergeleitet worden seien und dass sie von denen nicht verstanden worden seien. Das seien zum Teil Daten, „die keine Socke versteht“. Man brauche künftig mehr Schulungen und Klarheit der Daten. Auf den Hinweis, dass es auch in seiner Heimat Südtirol gute Sirenen gebe, sagte Reul, dass man in seinem Bundesland dieses einst abgeschaffte Warnsystem auch zum Teil wieder einführe: 400 neue Sirenen seien schon installiert worden, die Produktion sei aber auch ein Engpass.
Oben im Buchenwald war alles in Ordnung
Eine ganz andere Perspektive brachte der Förster und Buchautor Peter Wohlleben in die Debatte: Man müsse doch auch „oben“ schauen, auf die Berge, wo das Wasser eigentlich herkomme, sagte Wohlleben. In einem Kurzvideo war der Förster zu sehen in einem intakten Buchenwald in einer Steillage über dem Ahrtal nach der Katastrophe: Da seien keine Abflussspuren im Waldboden zu sehen. „Die Buchen bremsen den Regenfall, der ökologisch intakte Boden mit seinem Laub nimmt ihn langsam wie ein Wattebausch auf“, sagt Wohlleben. Der Wald könne den Wasserabfluss „extrem bremsen“, glaubt der Waldexperte.
Warnung vor Abholzungen
Für die Landwirtschaft abgeholzte Flächen oder Nadelwälder mit viel Wegebau und Kanälen hätten diese Funktion weniger. Wie so oft hielt Wohlleben ein Plädoyer für den naturbelassenen Wald und forderte, man müsse auch vom Borkenkäfer zerstörte Wälder einfach sich selbst überlassen. Selbst die Baumgerippe – das Totholz – spendeten noch Schatten, binnen fünf oder zehn Jahren werde da neues Grün entstanden sein. Werden die geschädigten Bäume aber abgeholzt und neue gesetzt, seien diese „blanken“ Flächen der prallen Sonne schutzlos ausgesetzt, und es entwickelten sich Bodentemperaturen bis zu 50 Grad: „Bei der nächsten Dürre haben wir dann neuen Ärger.“
Am Ende kleine Geschmacklosigkeiten von Lanz
Zumindest im Ahrtal gibt es nun neue Bebauungsvorschriften und keiner weiß, wann der nächste Starkregen kommt. „Wollen Sie jetzt eigentlich Tiny Houses bauen? Oder wollen Sie Ihre Häuser auf Stelzen bauen“, fragte Moderator Lanz – am Rande der Geschmacklosigkeit – die Flutopfer. Der Feuerwehrmann Fuhrmann berichtete, dass jetzt beim Häuserbau neue Vorschriften beachtet werden müssten, zum Teil werde in den Erdgeschossen keine Wohnnutzung mehr gestattet. Auch müssten einige Rebflächen verschwinden, weil sie mit ihren Zaunanlagen oft auch den Wasserabfluss förderten. Für die betroffenen Weinbauern sei das natürlich tragisch. Aber selbst ein komplett verbesserter Hochwasserschutz, glaubt David Fuhrmann, „kann so eine Flut nicht kompensieren“. So was wie am 14. Juli 2021 habe die Welt noch nicht erlebt.