Flächen – wie hier 2005 beim Bau der Landesmesse in Leinfelden-Echterdingen – sollen bald nur noch bebaut werden dürfen, wenn andernorts Kompensationsflächen renaturiert werden. Foto: Picture Alliance/dpa/Norbert Försterling

Die Regierung will, dass von 2035 an keine zusätzlichen Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke in Anspruch genommen werden dürfen. Doch ist das realistisch?

Ambitioniert ist für gewöhnlich das Synonym für ehrgeizig. Wenn jedoch nahezu alle Redner bei einem Symposium den Begriff „ambitioniert“ in den Mund nehmen und dazu von einigen auch die Quadratur des Kreises beschworen wird, dann liegt der Verdacht nah, dass „ambitioniert“ in diesem Fall eher „unmöglich“ bedeutet – und man auf sanftem Weg vermitteln will, dass das formulierte Ziel wohl ein Traum bleiben wird.

Es geht um eine zentrale Aufgabe des Ministeriums für Landesentwicklung und Wohnen von Ministerin Nicole Razavi (CDU): einen zeitgemäßen Entwicklungsplan zu formulieren, der alle denkbaren Raumnutzungen – Wohnen, Gewerbe, Landwirtschaft, Verkehr, erneuerbare Energien und Naturerhalt – klug arrangiert. Ein zentrales Ziel dabei ist es, bis 2035 die sogenannte Netto-Null beim Flächenverbrauch zu erreichen. Das bedeutet, dass spätestens von 2035 an keine zusätzliche Fläche in Anspruch genommen werden darf. Für eine Übergangszeit hat die Landesregierung einen maximalen Flächenverbrauch von 2,5 Hektar pro Tag ausgegeben.

In der Übergangszeit maximal 2,5 Hektar täglich

Selbst diese doch beachtlich große Fläche reicht aber aktuell bei Weitem nicht aus. Darauf hat Ansgar Schmitz-Veltin, der Leiter des Referats Raumbeobachtung im Ministerium, beim Symposium „Das Flächensparziel der Landesregierung im Rahmen des neuen Landesentwicklungsplans – wie erreichen wir die Netto-Null?“ hingewiesen. Auf Einladung von Nicole Razavi hatten sich Experten über Wege Gedanken gemacht, ob und wie sich die im Koalitionsvertrag fixierte Vorgabe in der Realität umsetzen lässt.

Die Zahlen, die Schmitz-Veltin nannte, sind ernüchternd. Immerhin hatten erste Bemühungen Anfang des Jahrtausends, den Flächenverbrauch zu reduzieren, gefruchtet. So war es gelungen, den durchschnittlichen täglichen Zuwachs der Siedlungs- und Verkehrsfläche von 10,9 Hektar in den Jahren 2000 bis 2004 auf 4,8 Hektar zwischen 2012 und 2016 zu verringern. Doch mittlerweile hat sich die Situation verändert und der tägliche Verbrauch liegt wieder bei sechs Hektar. Insgesamt hat sich die Siedlungs-und Verkehrsfläche in Baden-Württemberg zwischen 2000 und 2020 um 53 000 Hektar erhöht. Das entspricht 75 000 Fußballfeldern oder einem Zuwachs von 11,4 Prozent.

Schlüsseltechnologien brauchen Platz zur Weiterentwicklung

Das sieht auch Thilo Rentschler, der Hauptgeschäftsführer der IHK Ostwürttemberg, so und weist auf erhebliche Probleme hin: Es dürfe wegen der Flächenvorgaben kein Verbot für die Wirtschaft geben, sich zu entwickeln. Schlüsseltechnologien wie die Chipproduktion, Mobilität, Energieerzeugung oder KI brauchten Raum. Man dürfe deshalb nicht unüberlegt eine Käseglocke über die Arbeitsplätze stellen.

Auch Steffen Jäger, der Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg, warnt vor zu drastischen Schritten. Zwar sei es höchste Zeit, den Landesentwicklungsplan anzupassen. Auch sei es richtig, konsequenter als bisher die Innenverdichtung zu fördern. Es gibt aus seiner Sicht aber Zielkonflikte zwischen bezahlbarem Wohnen, dem technischen Wandel und dem Ausbau der erneuerbaren Energie: Die zwei Prozent Fläche, die das Land für den Ausbau der Windkraft und Solarenergie zur Verfügung stellen müsse, entspreche in etwa der Fläche, die sämtliche Gewerbegebiete im Land benötigten. Jäger: „Die Aufgabe, den Flächenverbrauch zu reduzieren, ist noch viel größer, als wir uns das gedacht haben.“ Der Einzige, der beim Symposium einen – zumindest aus seiner Sicht – überzeugenden Vorschlag hatte, wie das Ziel erreicht werden könnte, war Ralph Henger vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Ein sicherer Weg zur Netto-Null sei es, analog zum CO2-Zertifikate-Handel Flächenzertifikate zu etablieren. Dieses Instrument sei eine quantitative Ergänzung der bewährten Steuerung.

Flächenzertifikate wären denkbar, verteuern aber den Wohnraum

Kommunen könnten selber befinden, ob sie teure Zertifikate hinzukaufen oder auf Flächenerweiterungen verzichten und die zugeteilten Zertifikate in Geld verwandeln wollten. Allerdings, auch das musste Henger einräumen, gibt es auch beim Zertifikatehandel erhebliche Probleme: Die steigenden Kosten für den Grundstückserwerb etwa würden das politische Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, konterkarieren.

Razavi sieht wichtige Ideen und Impulse

Trotz des ernüchternden Verlaufs des Symposiums gibt sich Nicole Razavi zuversichtlich: „Der Austausch brachte wichtige Ideen und Impulse für die Ausgestaltung des neuen Landesentwicklungsplans sowie für unseren Aktionsplan Flächensparen.“ Ihre Staatssekretärin Andrea Lindlohr ergänzte: „Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir eine breite Palette von sich gegenseitig ergänzenden Maßnahmen, die alle Bereiche umfasst.“ So etwas nennt man wohl eine Herkulesaufgabe – oder: ambitioniert.

Zahlen zur Flächenentwicklung in Baden-Württemberg

Flächennutzungswandel
Von der erheblichen Ausweitung von Flächen für Siedlungen und Verkehr seit 1980 ist vor allem die Landwirtschaft betroffen. Während die Waldgebiete sogar ein leichtes Plus verzeichnen – 1980 waren 36,1 Prozent der Fläche Baden-Württembergs bewaldet, 2020 waren es 37,8 Prozent –, ist der Anteil an landwirtschaftlichen Flächen von 50,6 auf 45,0 Prozent zurückgegangen. Die Verkehrs- und Siedlungsflächen wuchsen von 10,9 Prozent auf 14,7 Prozent.

Stadt-Land-Gefälle
Insgesamt hat sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Baden-Württemberg zwischen 2000 und 2020 um 53 000 Hektar erhöht. Das ist ein Plus von 11,4 Prozent. Der stärkste Anstieg ist in den Gemeinden des ländlichen Raums festzustellen (plus 13 Prozent). In den Verdichtungsräumen fiel der Anstieg mit 8,6 Prozent deutlich geringer aus. (hol)