Jeder hat schon mal einen Schlüssel, einen Regenschirm oder den Geldbeutel verloren. Aber was passiert damit, wenn jemand ihn findet? Welche Rechte und Pflichten hat man als Finder? Und was ist das Verrückteste, das das Fundamt Sindelfingen jemals gesehen hat? Ein Besuch vor Ort.
Über Gebisse wundert sie sich immer wieder. Den Vogel abgeschossen hat aber ein Rucksack voller Sexspielzeug. BHs und Gleitgel seien auch drin gewesen. „Den hat aber niemand abgeholt“, sagt Anja Frank und grinst. Sie kümmert sich in Sindelfingen auf dem Fundamt seit 2022 um Verlorenes und Gefundenes. Darunter ist tatsächlich bisweilen Bargeld, das jemand in Geldautomaten findet. „Ja, es gibt ehrliche Finder“, sagt Anja Frank. Das holt bei ihr dann logischerweise niemand ab – es kann ja auch keiner beweisen, dass es sein Geld war, das im Automaten steckte.
Kuriositäten gibt es aber noch mehr: Eine Steuerung für die Playstation, ein einzelner Gehstock, ein zusammengeklappter Puppenbuggy liegen allein an diesem Mittag in einem Eck. Die Fantasie treibt Blüten – vielleicht hat den Gehstock einer mit nur einem Bein verloren? In ihrem Büro stapeln sich auch Tüten und Schachteln mit Neuware, die wohl gekauft, aber dann vergessen wurde. „Das haben wir vom Breuningerland bekommen“, sagt Anja Frank. Eigentlich ist sie die Hüterin einer richtigen Schatzkammer mit „unzähligen Gegenständen“. Da darf die Presse aber nicht rein. Sowas wie zehn unaufgeräumte Garagen voller Gruschd, Kunst und Krempel müssen im Verwaltungsgebäude versteckt sein. Denn seit dem Jahr 2017 habe man keine Versteigerung mehr machen können, sagt Anja Frank. 1000 bis 2000 Fundsachen kommen pro Jahr neu dazu. Es könnten aber auch mehr sein, sagt sie.
Playstation-Steuerung, ein einzelner Gehstock, ein Puppenbuggy
Neben dem Breuningerland laden auch Ikea, Mercedes-Benz und andere Fundsachen bei Anja Frank ab. Aber auch Privatpersonen oder die Polizei bringen Dinge vorbei. Nach dem Winter findet die Grünpflege den ein oder anderen Schatz, der unter Schnee- oder Eisdecken verborgen war. Kinderspielzeug, Handys, EC-Karten – es wird nichts gefunden, was nicht auch verloren geht. Der Zustand: von nagelneu bis stehend vor Dreck. „Manchmal wissen wir nicht, wie lange die Sachen schon herumlagen.“
Wenn Sachen bei ihr ankommen, muss Anja Frank sie erst einmal durchschauen. Was verwertbar ist, wird sechs Monate lang aufbewahrt. Medikamente müsse sie vernichten, Schnuller – Eltern wissen, dass halbe Wagenladungen in so einem Babyleben verschüttgehen – werden ebenfalls entsorgt.
Manchmal, sagt Anja Frank, rufen in kurzer Zeit auffällig viele Leute bei ihr an, verzweifelt auf der Suche nach ihrem Portemonnaie. Wenn mehrere davon es im selben Supermarkt oder Einkaufszentrum „verloren“ haben, liegt ein Verdacht nahe: Da waren womöglich Diebe im Spiel. Helfen kann Frank da leider nicht wirklich – diese Geldbeutel sind für immer verschollen. Gibt es Hinweise auf die Besitzer, versucht sie, diese zu finden. „Geldbeutel mit Personalausweisen sind der Jackpot“, sagt Oliver Schwarz, Abteilungsleiter des Einwohner- und Gewerbewesens, bei dem das Fundamt angesiedelt ist. Detektivisch geht Frank dann vor: Im Melderegister nach dem Namen checken, Kontakt herstellen. Auch an andere Stadtverwaltungen gehen die Geldbörsen, wenn der Besitzer nicht in Sindelfingen wohnt. Ausländische Portemonnaies schickt sie an das entsprechende Konsulat.
Jeder sollte Notrufkontakte im Handy einspeichern
Auch Handys kann man gut zurückverfolgen. Zumindest, wenn Notrufkontakte eingestellt sind. Dann kann Anja Frank auch ohne Passwort auf die Notruf-Taste klicken und so die wichtigsten Kontakte anrufen. „Viele wissen aber nicht, dass man das kann.“
Und gerade im Fall von Geldbeuteln ist Anja Frank oft eine Frau, die Glück bringt. Oft fehle vielleicht das Geld, wenn das Portemonnaie abgegeben werde – ob vom Finder oder Abgebenden, ist ja nie zu klären. Aber: „Die allermeisten Leute sagen, die Dokumente sind die Hauptsache.“ Bekommen die Besitzer die wieder zurück, strahlen sie entsprechend. Dann bleibt ihnen der Aufwand erspart, sämtliche EC-Karten sperren und Personalausweis und Führerschein für viel Geld neu ausstellen zu lassen.
Dokumente und Ausweise finden deshalb in achtzig Prozent der Fälle wieder ihren Weg nach Hause, schätzt Anja Frank. Vieles werde aber nicht abgeholt. Schlüssel, zum Beispiel. Die hängen in einem Schaukasten vor Anja Franks Büro. Das sieht aus wie bei einem Mietwagenverleih. Wer seinen Schlüssel verloren hat, kann mal zum Gucken kommen. Erkennt man seinen wieder, muss man mit dem Ersatzschlüssel antanzen, um abzugleichen, dass es auch wirklich der richtige ist. Beim Handy muss man die Pinnummer kennen.
Wird der Besitzer gefunden, kann der Finder rechtlich einen Finderlohn verlangen: bei einem Fund bis 500 Euro ganze fünf Prozent des Wertes. Das kann sich schon mal lohnen. Bei diesem Thema mischt sich Frank aber nicht ein. Namen und Telefonnummer des Finders kann der Besitzer erfragen und sich so erkenntlich zeigen, wenn er mag.
Ein Rucksack voller Sexspielzeug
Wenn niemand die Fundsachen abholt, werden sie versteigert. Das ist in Sindelfingen schon lange nicht mehr passiert, auch weil der Aufwand so groß ist. Früher habe man die Sachen regelmäßig versteigert, sagt Oliver Schwarz. „Es gab richtige Junkies, dies jedes Mal kamen.“ Sogar ein Vesper hatten sie dabei. Aber das ist Geschichte: Künftig sollen verlorene Gegenstände nach sechs Monaten Aufbewahrung online versteigert werden. Genaueres werde man erfahren.
Nicht abgeholte Kleidung wird auch mal an Altkleidersammlungen abgegeben, Brillen hat Anja Frank schon an eine Hilfsorganisation gespendet. Auch dass der Gegenstand zurück an den Finder geht, kommt vor – vorausgesetzt, der will ihn haben. Ob der Finder den Rucksack auch nicht wollte?
Was tun, wenn was verloren geht?
Für davor
Anja Frank empfiehlt, Notfallkontakte im Handy zu hinterlegen. So kann sie im Fall eines Verlusts nach dem Besitzer suchen. Auf die Kontakte kann sie auch zugreifen, wenn das Handy per Pin gesperrt ist. Auch weist sie darauf hin, dass in Geldbeuteln häufig Pins zu EC- oder Kreditkarten stecken – davon kann sie nur abraten.
Für danach
Falls etwas verloren geht, ab ins Fundamt. Das hat Montag bis Freitag von 8 bis 12 Uhr geöffnet und am Donnerstag von 14 bis 18 Uhr. Es befindet sich im ersten Stock des Rathauses. Der Schlüsselkasten ist auch darüber hinaus zugänglich, solange das Rathaus geöffnet hat.