Elegant und mit viel Körperspannung: Helen Vordermeier Foto: Baumann

Helen Vordermeier von der Sportkultur Stuttgart nimmt an den deutschen Meisterschaften im Kunstradfahren teil. Seit 13 Jahren ist die Kunst auf dem Sattel die Welt der 18-Jährigen.

Stuttgart - Helen Vordermeier pumpt noch einmal Luft in die 26-Zoll-Reifen ihres blau-weißen Rades, zieht die Schrauben nach. Das läuft alles automatisch ab, ein vertrautes Ritual. Zuvor hat sie sich 30 Minuten lang aufgewärmt. Dann entschwebt die junge Frau mit ihrem Rad und dreht einige Runden auf dem Parkettboden in der Sporthalle der Wilhelmschule in Stuttgart-Wangen. Helen Vordermeier ist Kunstradfahrerin. Sie nutzt dazu ein Spezialrad mit einer 1:1-Übersetzung und starrer Nabe und kann deshalb auch rückwärts fahren.

Die Punktrichter sind streng

Elegant sieht es aus, die Körperspannung passt, es ist kein Wackler zu sehen. Die 18-Jährige übt gerade den Kehrsteuerrohrsteiger, bei dem sie verkehrt herum auf dem Steuerrohr sitzt und nur auf dem Hinterrad fährt, während das Vorderrad in der Luft ist. Am Anfang der Übung huscht noch ein Lächeln über ihr Gesicht, doch dann siegt die Konzentration über die Mimik. Egal: Ausdruck und Ausstrahlung werden anders als etwa beim Eiskunstlaufen von den Punktrichtern nicht bewertet. Kunstradfahren, das ist ein wenig wie Voltigieren auf dem Fahrrad und ziemlich transparent, was die Regeln angeht. Vor dem Start schreibt jeder Sportler seine Kür mit 30 Übungen nieder. Für jeden Fehler werden sofort Punkte abgezogen und per Anzeige für Athleten und Zuschauer sichtbar gemacht. Fünf Minuten dauert der Vortrag. Die Punktrichter sind streng. Schon für kleine Abweichungen von der optimalen Körperhaltung gibt es Abzüge. „Man hat nur diese Zeit und muss sauber durchkommen“, sagt Helen Vordermeier.

Seit 13 Jahren ist die Kunst auf dem Sattel Helens Welt, seit acht Jahren startet die Ludwigsburgerin für die Sportkultur Stuttgart. Betreut wird sie von den Schwestern Daniela Klingler und Isabell Lorandt.

Bei den deutschen Titelkämpfen geht es um zwei WM-Tickets

Viermal die Woche steht sie in der Halle, hinzu kommen Lehrgänge und Wettkämpfe. An diesem Wochenende vertritt sie die Sportkultur Stuttgart bei den deutschen Meisterschaften in Lübbecke. Kunstradfahren wird dominiert von Sportlern aus Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz, und bei internationalen Wettbewerben sind die deutschen Starter Stammgäste auf dem Podest. Das ist vergleichbar mit Tischtennis bei den Chinesen. Bei den deutschen Titelkämpfen geht es auch um zwei Startplätze für die WM im November in Malaysia. Von solchen Zielen ist Helen Vordermeier in dem 16er-Feld noch weit weg. Es ist ihr erster Start bei der Elite.

Im vergangenen Jahr holte sie den Titel bei den baden-württembergischen Meisterschaften der Juniorinnen und wurde Siebte auf Bundesebene. Mit einem Platz unter den ersten zehn wäre sie zufrieden. Sie fühlt sich gut vorbereitet, war am vergangenen Wochenende noch zu einem Lehrgang bei Bundestrainer Dieter Maute in Albstadt.

Nach den Meisterschaften geht es für drei Monate nach Panama

Nach dem fünffachen Weltmeister wurde auch der sogenannte Mautesprung benannt. Diesen Übungsteil hat Helen noch nicht im Programm, und auch der Handstand sitzt noch nicht perfekt. Auf den Handstandhölzern, die auf dem Boden zum Trockentraining genutzt werden sieht, es schon ganz gut aus. Nach den Titelkämpfen ist Helen dann erst einmal für drei Monate weg. Traumziel Panama. Hier wird sie Spanisch lernen, für ein soziales Projekt arbeiten und noch einen Monat reisen, um danach an der Uni Hohenheim Ernährungsmanagement und Diätetik zu studieren. Ihre Trainerin, Isabell Lorandt, hat sie in diesem Vorhaben bestärkt. „Helen hat wegen Meisterschaften auf vieles verzichten müssen. Jetzt soll sie ruhig mal was erleben“, sagt sie. Nun aber liegt der Fokus auf dem Auftritt am Freitag ab 13 Uhr in Lübbecke. Möglichst ohne Wackler.