Neuer Glanz: Grünewalds „Kreuztragung“ (Ausschnitt) Foto: SKK/Drollinger-Kohler

600 Werke aus 800 Jahren Kunstgeschichte auf 2000 Quadratmetern – die Kunsthalle Karlsruhe, wegen Sanierung geschlossen, präsentiert sich derzeit im Zentrum für Kunst und Medien (ZKM).

Die Freude ist groß – und sie ist vielfach geteilt. Als „wirkliche Leistung des ganzen Teams“ sieht Pia Müller-Tamm, zum 30. April nach 14 Jahren im Amt ausgeschiedene Direktorin der Kunsthalle Karlsruhe, den „vollumfänglich von mir verantworteten“ Auftritt der Kunsthalle im Hallenbau des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM). Mehrere Jahre werden die Schätze aus 800 Jahren Kunstgeschichte im ZKM-Obergeschoss zu sehen sein – die Kunsthalle selbst wird generalsaniert und ist bereits seit mehr als einem Jahr geschlossen.

„KunsthalleKarlsruhe@zkm“ – das klingt gut, frisch. Unterstellt einen gänzlich neuen Blick. Kann es diesen aber geben, wenn es um Altdeutsche Malerei, um europäischen Glanz des 16. bis 18. Jahrhunderts und um den Aufbruch in die Moderne geht? Es muss ihn geben – einerseits, dies provoziert allein die räumliche Situation. Es kann ihn nicht geben – andererseits, dies verbietet allein schon der Schutz der Kunsthallen-Schätze.

20 Jahre lang wurde Grünewalds Gemälde restauriert

Und so wird die Präsentation von Matthias Grünewalds 1523/24 entstandener Tafel „Die Kreuztragung Christi“ zum Sinnbild von „KunsthalleKarlsruhe@zkm“: Nach 20 (!) Jahren Restaurierung ist eines der zentralen Kunstwerke der deutschen Kunst überhaupt erstmals wieder zu bestaunen – in nie gesehenem, aber aus Sicht der Beteiligten originalem Glanz. Grell die Kleider der Häscher, samtblau im eigentlichen Mariengewand der unter der Last des Kreuzes in die Knie gezwungene Jesus. Die Frische provoziert den Eindruck von Zeitgenossenschaft. Doch die Präsentation rückt die Verhältnisse sofort wieder zurecht. Gedimmtes Licht, dunkler Hintergrund, dazu ein Bild inmitten von Bildern – ein Star, der das Werk zweifellos ist, wird so nicht neu geboren. Und doch greift die eilige Formel ein Schritt vor, zwei Schritte zurück zu kurz.

Man mag dem in Berlin und Stuttgart ansässigen Gestalterbüro HG Merz den hier nicht neuen Widerspruch vorhalten, scheinbar zurückhaltend zu agieren, tatsächlich aber zuvorderst Ausstellungsarchitektur zu präsentieren. Jedoch – wer wollte diese immensen Kunstwerte nicht bestens geschützt wissen, und wer wollte nicht vor allem den Alten Meistern sowie der niederländischen und französischen Kunst des 16. bis 18. Jahrhunderts die über angedeutete Kabinette erreichte Eigenwirkung verweigern? Und wer schließlich kann nicht gerade in dieser Präsentation sicher jeweils ganz eigene Entdeckungen machen, Kunst tatsächlich, wie es der Untertitel des Kunsthallen-Auftritts verspricht, neu sehen? Wie selbstverständlich rückt nun Carl Gustav Carus’ in feinen Braun/Grau-Nuancierungen gehaltene „Malerstube im Mondschein“ von 1826 in die erste Reihe! Und wie radikal schüttelt Adriaen Coortes „Drei Pfirsiche auf einem Steinsims mit einem Distelfalter“ von 1693/95 alle Verhunzung durch millionenfache Verbreitung ab!

„KunsthalleKalrsruhe@zkm – Ein neuer Blick auf die Sammlung“ bietet Klarsicht im Getümmel eines Best-of. Und dies auch und gerade außerhalb des Kunsthallen-Ruhms als erste Adresse französischer Kunst außerhalb der Louvre-Mauern.

Schließlich knallt es fast – so bildnerisch aktuell tritt einem Otto Dix’ unmissverständliche Abrechnung mit den Schergen eines Schnauzbart-Ungeheuers in „Die sieben Todsünden“ von 1933 entgegen. Auf solche Wucht zu antworten fällt der zum eiligen Galopp gedrängten jüngeren Gegenwart schwer – und so hat Karin Sander zuletzt leichtes Spiel, mit einer Neupräsentation ihrer Arbeit „Zeigen. Eine Audiotour durch Baden-Württemberg“ ein abschließendes Ausrufezeichen zu setzen – und zugleich eine akustisch erlebbare Antwort auf den ganz filmisch-visuell geprägten Auftakt zu geben, Anna Henckel-Donnersmarcks Videoinstallation „Vier Flügel, zehn Galerien, ein Hof“, sorgsam beobachtende Hommage an die (nun geschlossene) Kunsthalle Karlsruhe.

Querschnitt durch die Kunstgeschichte

So entsteht im Erleben dieser 600 Werke aus 800 Jahren auf 2000 Quadratmetern – aus dem Miteinander zumal von Malerei, Zeichnung und Skulptur – mehr und mehr eine Art Werkstatt im Großformat, ein Parcours von Stars, die nicht als solche wahrgenommen werden wollen und damit Raum geben für neue Gewichtungen. Das „Basislager“, das der jüngst verstorbene langjährige ZKM-Vordenker Peter Weibel mit dem noch von ihm konzipierten Projekt „Renaissance 3.0“ im Erdgeschoss aufgeschlagen hat – es beginnt im Grunde mit diesem Sammlungspanorama der Kunsthalle Karlsruhe. Die Kunst, das wird nicht erst mit Grünewalds „Kreuztragung“ und bis hin nicht nur zu Max Ernsts „Die Windsbraut“ von 1927 deutlich, erklärt sich über die Jahrhunderte die Welt auf eigene Weise – und hat nicht zuletzt deshalb in der Gegenwart allen Anspruch darauf, neue Allianzen für die Zukunft zu schmieden. Präziser könnte der Spruch „kunsthallekarlsruhe@zkm“ als Anspruch nicht eingelöst werden.

Zuwächse für die Sammlung

Sammlung Röchling
Eigene Kabinette gelten in der Ausstellung „kunsthallekarlsruhe@zkm“ zwei erheblichen Sammlungszuwächsen. Zum einen sind – in Fortführung einer Schenkung von Bildern von Pieter de Hooch und Jan van der Heyden – Werke aus einem Konvolut von 54 Bildern aus der Sammlung Röchling zu sehen. Die Familie ist vor allem durch die 1881 begründete und bis 1986 betriebene Völklinger Hütte bekannt. Die 54 Bilder aus dem 15. bis zum 18. Jahrhundert sind ein Vermächtnis von Hermann Röchling (1929–2020).

Sammlung Stieger
Mit Mitteln aus der Museumsstiftung des Landes Baden-Württemberg erwarb die Kunsthalle Karlsruhe 2022 mehr als 14 000 Fotografien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts aus der Sammlung von Bernd Stiegler. „kunsthallekarlsruhe@zkm“ zeigt nun eine Auswahl aus diesem neuen Sammelgebiet der Kunsthalle – und ermöglicht unter anderem eine Neuentdeckung der Arbeiten von Willi Moegle (1897–1989).

Öffnungszeiten
„kunsthallekarlsruhe@zkm“ ist zu sehen im Hallenbau des Zentrums für Kunst und Medien in Karlsruhe (Lorenzstraße 19). Mittwoch bis Freitag von 10 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag von 11 bis 18 Uhr. Montag und Dienstag geschlossen. Es gelten die aktuellen Preise des ZKM: 8 Euro (ermäßigt: 6 Euro).