Jedes der mit Sprüchen versehenen weißen Tischtücher behandelt ein Thema: vom Kriegsbeginn bis zum Tod. Foto: Ines Rudel

Erstmals öffnet sich der Keller des Shanty-Gesangsvereins der Marinekameradschaft Tsingtau in der Esslinger Landolinsgasse für eine Ausstellung. Neben Gegenwartskunst gibt es dort auch jede Menge andere Exponate zu bewundern.

Esslingen - Deswegen ist doch Krieg, dass die Menschen weniger werden, und die Großen wieder mehr Gewalt haben über das arme Volk.“ So kritisch äußerten sich viele Frauen im Ersten Weltkrieg. Die Künstlerin Sylvia Winkler hat solche Sätze aus Briefen und Tagebüchern von Frauen mit Wäschetinte auf weiße Tischtücher geschrieben, Die Schrift verläuft entlang der Umrisse von Schützengräben, die sie mit der Nähmaschine nachgezogen hat. Acht solche Tischtücher werden nun im Rahmen des Langzeitprojekts „52 x Esslingen und der Erste Weltkrieg“ im Keller des Shanty-Chors der Marinekameradschaft Tsingtau Esslingen in der Landolinsgasse präsentiert.

Jedes Tuch behandelt ein Thema, vom Kriegsbeginn bis zum Tod. Zwar findet der Krieg zu Beginn auch Zustimmung. Aber schon der erste Kommentar lautet: „Am Vorabend des Weltkrieges!?! steht heute auf den meisten Depeschen! So sieht Krieg aus, muss ich immer denken! Es ist viel, viel grässlicher, als man immer dachte und aus Büchern las.“

Ein Verein ehemaliger Marinesoldaten

Zeitgenössische Kunst im Tsingtau-Keller: eine ungewöhnliche Kombination. Die Künstlerin Rosy Albrecht hat die Ausstellung initiiert. Die Marinekameradschaft, in der heute jeder mitsingen kann, war ursprünglich ein Verein ehemaliger Marinesoldaten, benannt nach der deutschen Kolonie Tsingtau im Osten Chinas.

Zur Eröffnung singt der Laienchor, abweichend von seinem üblichen Repertoire, Lieder, die mit dem Ersten Weltkrieg zu tun haben wie „Maikäfer flieg“ oder „Lili Marleen“: ein zwar erst im Zweiten Weltkrieg außerordentlich populäres Lied, dessen Text jedoch schon im Ersten Weltkrieg entstand.

Im Tsingtau-Keller sind neben der Gegenwartskunst jede Menge andere Exponate zu bewundern: Schiffsmodelle, alte Stahlstiche, auch ein Plan zur Verteidigung der Kolonie gegen die japanische und britische Übermacht im Ersten Weltkrieg. Von einem Besuch in der heutigen Millionenstadt Qingdao haben die Männer eine chinesische Kalligrafie und ein Foto von einem Gedenkstein mitgebracht, wo sich Gastgeber und Gäste gegenseitig versprachen, sich für einen dauerhaften Frieden zwischen beiden Ländern einzusetzen.

Die Finissage ist am 21. Juli

Die Kommentare auf den weißen Tischtüchern scheinen direkt durch die Zeiten zu sprechen. „Wo bleibt unsere Kultur und Zivilisation, der wir uns rühmen“, fragt eine der Frauen zu Recht. „Sag mal, mit wem haust du dich nachher, wenn Du wieder daheim bist?“ schimpft eine andere: „Ihr werdet ja so an das kriegerische Leben gewöhnt, dass euch des Hauses Friede gar nicht mehr behagt.“

Ein vom Stuttgarter Künstler Harry Walter im Internet ersteigertes Foto ist dagegen verstummt und schon ziemlich verblasst. Welche Geschichte steckt hinter dem im Lazarett aufrecht in seinem Bett Sitzenden, mit einer Armbanduhr am Handgelenk und einer Zigarette in der Hand? Schritt für Schritt entziffert Walter die Aufnahme und bringt damit Zusammenhänge ans Licht, die auch ohne etwas von der Person des Dargestellten zu wissen, umso mehr die Zeitumstände erhellen.

Rosy Albrecht zeigt erstmals einen Film über einen ehemaligen Fremdenlegionär, den sie bereits vor 14 Jahren mit der Kunsthistorikerin Susanne Parth gedreht hat. Zwischen Rasieren, Duschen und Fernsehen reflektiert der Mann, offenbar beziehungsunfähig geworden, über sein Soldatendasein. Trotz des eher bedrückenden Themas entwickeln sich am Eröffnungsabend viele angeregte Gespräche, die zeigen, wie gewinnbringend es sein kann, einen solch ungewöhnlichen Raum einmal für ein anderes Publikum zu öffnen.

Die Ausstellung im Tsingtau-Keller in der Esslinger Landolinsgasse ist von Freitag, 14. Juli bis zum Sonntag, 16. Juli, jeweils von 17 bis 20 Uhr geöffnet. Die Finissage ist am Freitag, 21. Juli, um 18 Uhr.