So stellen Fans sich das gerne vor: Night Vales Radio funkt Hirnwäschesignale, die Städter gehen der Liebe nach Foto: maxkennedy24.tumblr.com

In den USA ist „Willkommen in Night Vale“ ein Kultbuch. Aus einem Podcast hat sich da eine bizarre Welt voll schräger Bewohner entwickelt. Nun stellen die Autoren Joseph Fink und Jeffrey Cranor ihr Werk in der Stadtbibliothek Stuttgart vor.

Stuttgart - Stellen Sie sich Night Vale als kleine Stadt im Südwesten der USA vor, als Hort des Komforts mitten in der Wüste. Ein Örtchen, gerade groß genug, eine Zeitung, einen Lokalradiosender, eine Bibliothek und wenigstens ein rund um die Uhr geöffnetes Restaurant zu unterstützen, und natürlich eine Pfandleihe. Als Mustersiedlung freundlicher Normalität also.

Und nun, würden Joseph Fink und Jeffrey Cranor sagen, die beiden am Dienstag, dem 24. Mai in die Stadtbibliothek kommenden Autoren des Romans „Willkommen in Night Vale“, stellen Sie sich das bitte alles ganz anders vor. Schrecklicher, unheimlicher, wahnwitziger. Mit Unmengen Geheimpolizei, Monstern und Aliens.

Tränen zu verpfänden

Night Vale ist der Schoß alles Ungewöhnlichen. Wann immer man etwas Vertrautes, Berechenbares auszumachen scheint, wird es schnell seine bizarre Seite offenbaren. In der Pfandleihe zum Beispiel kann man auch eine Träne abgeben, ein Pfand, das dort so hochgeschätzt wird wie eine goldene Uhr oder ein Plastikflamingo. Auf elf Dollar nämlich, offiziell ein ewiger Einheitspreis. Im Einzelfall jedoch kann man mit Jackie, der Inhaberin, durchaus feilschen.

Das sind noch die freundlicheren Schrullen von Night Vale. Diese Stadt, sagen ihre Erfinder selbst, die ihn im Rahmen eines sehr erfolgreichen Podcasts entwickelt haben, sei ein Ort, an dem alle Verschwörungstheorien Wirklichkeit geworden sind. Es gibt obskure Behörden und Dienste, die Menschen bespitzeln, unliebsame Zeugen auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen und auf vielen Kanälen Gehirnwäsche betreiben.

Unsichtbare Frauen und Riesenhummer

Aber den Begriff Verschwörung muss man weit fassen. Eigentlich kann einem in Night Vale jede unheimliche Spekulation, die je jemand getätigt hat, hinter der nächsten Ecke begegnen. Folglich gibt es hier gespenstische, unsichtbare alte Frauen als verstohlene Mitbewohner der eigenen vier Wände oder Vogelspinnen, die sich heimlich auf dem Kopf von Spinnenphobikern einnisten.

Man kann allerdings das, was Fink und Cranor ganz ruhig erzählen, auch als Porträt einer schweren Geisteskrankheit lesen, als Bild einer unzuverlässigen Welt. Oder man kann Night Vale als Sprachkritik deuten, die Alltagsfloskeln beim Wort nimmt. Die alleinerziehende Mutter Diane etwa macht mit ihrem pubertierenden Sohn Josh die Erfahrung vieler Eltern von Teenagern, er kommt ihr dauernd anders vor. Nur dass Josh wirklich ein Gestaltwandler ist, der als kleine Mücke umherschwirrt, sie als Riesenhummer aus Stielaugen anschaut oder als Steinklotz vor ihr hockt.

Salvador Dali lässt grüßen

Obendrein kann man „Willkommen in Night Vale“ als Surrealismus-Experiment sehen, als Versuch, Mystery- und Fantasy-Elemente im Dali-Stil verfließender Formen und aufgelöster Logikzusammenhänge zu arrangieren. Dem ersten Roman aus dem Night-Vale-Universum haben manche Leser denn auch angekreidet, er ließe sich mit dem Voranbringen der Handlung sehr viel Zeit, er verliere sich in Beschreibungen des Ortes und seiner Bewohner.

Das ist wahr, aber vielleicht nicht tadelbar. Der Held der Geschichte ist der gesamte Ort, und kein Plot so spannend wie die Grundidee, dass die Bewohner von Night Vale sich permanent mit allem Irren und Gefährlichen abfinden, als sei es die traulichste Normalität.

Vorsicht in der Stadtbibliothek

In den USA ist der Anfang der Kultbildung um diese Erfindung längst feststellbar, und auch der deutsche Verlag dürfte auf langfristig ergriffene Fans hoffen. Zur Stuttgarter Lesung kommen neben den Autoren jedenfalls als Moderator Denis Scheck, der prominenteste Literaturvermittler des deutschen Fernsehens und bekennender Fantastik-Fan, sowie als Sprecher Andreas Fröhlich, die Synchronstimme von Gollum in Peter Jacksons „Herr der Ringe“-Adaption, in die Stadtbibliothek. Dass die Bibliothek der gefährlichste Ort von ganz Night Vale ist und die dortigen Bibliothekare menschenfressende Scheusale mit Tentakelarmen sind, sei vorsichtshalber erwähnt.

Joseph Fink, Jeffrey Cranor: Willkommen in Night Vale. Aus dem Englischen von Wieland Freund und Andrea Wandel. Klett-Cotta, Stuttgart. 378 Seiten, 19,95 Euro.

Termin: 24. Mai, 20 Uhr, Stadtbibliothek