Erinnerungen an Kinderzeichnungen vergangener Tagen: Kostümskulpturen von Justyna Koeke Foto: Jan Reich

Alle kleinen Mädchen träumen davon, Prinzessin zu sein. Auch Justyna Koeke, die als Kind Prinzessinnen und Heilige, die Idole ihrer Fantasie, gemalt hat: überirdisch schön und in kostbaren Gewändern. Jetzt hat die Künstlerin die Zeichnungen in aufwendigen Kostümskulpturen Realität werden lassen.

Stuttgart - Mein Gott, was sind wir alle langweilig angezogen. So vernünftig, so praktisch, so zurückhaltend. Passend zum Alltag. Bloß nichts Exzentrisches. Bei der Haute Couture von Lagerfeld und Co. fragen wir uns verstört, wo und wann um Himmels willen wir das anziehen sollen. Und wenn wir uns schon mal den großen Auftritt in auffallenden Klamotten leisten, würden wir uns am liebsten gleich dafür entschuldigen. Zu solch aufmüpfigen Gedanken animieren die surreal-fantastischen Kreationen von Justyna Koeke. Obwohl sie eindeutig in die Kategorie Textilkunst und keinesfalls Kommerz gehören und damit auch gar nicht für irgendeine Stunde des Tages oder der Nacht gedacht sind. Nach dem Motto: untragbar schön.

Ach, was sagen wir: Schön ist dafür nur ein unzureichendes Wort. Und selbst die Attribute hinreißend, faszinierend, überraschend und absolut einmalig beschreiben nur ungenügend, was bei der besonderen Performance mit dem neugierig machenden Titel „Prinzessinnen und Heilige“ in der Stadtbibliothek ein dicht gedrängtes Publikum begeisterte: 20 opulente textile Skulpturen aus Tüll, Taft und seidig glänzenden Stoffen, immer gekrönt von einem ausladenden Kopfschmuck, bunt, üppig, blumig, skurril und Ausdruck von überbordender, geradezu orgiastischer Fantasie. Das erfordert Haltung und würdevolles, fast hoheitsvolles Schreiten, das die Models, 20 Damen, jenseits taufrischer Jugend, aber von munterer Lebendigkeit, perfekt präsentieren.

Verwandlung in einen fröhlichen Schutzengel

„Ich finde es wunderbar, mal eine Prinzessin zu sein“, schwärmt Anne Pester (75) beglückt. In einer sensationellen Robe in Blau mit großen sonnengelben applizierten Blüten braucht sie die ganze Breite des Laufstegs im Raum der Stille. Und eine ebenso ausladende Krone lässt keinen Zweifel am hoheitlichen Rang dieser Figur. Traute Kröner (87) freut sich über die Verwandlung in einen fröhlichen Schutzengel. Einem Gemälde gleicht die Madonna, die ihren eigenen Rosenhag trägt und an die Darstellungen der griechischen Nymphe Daphne erinnert, die vor den erotischen Nachstellungen Apolls in einen Lorbeerbaum verwandelt wurde. Die Ärmel des Kostüms laufen in Zweigen und Blütenranken aus.

Einer anderen Madonna hat die Künstlerin das Jesuskind in die Arme gelegt, beide umrahmt von einem großen goldenen Heiligenschein. Alles aus Stoff modelliert und genäht, die goldenen und kupferfarbigen Haare und Zöpfe, die plastischen Wülste, die applizierten Blumen, Sonnen und Sterne. Und akkurat genauso zauberhaft geworden, wie es das Kind Justyna einst gemalt hat. Denn die Zeichnungen wurden gleichzeitig zur Schau an die Wand projiziert.

„Ich wollte die Traumwelt des Kindes um-setzen“, sagt Justyna Koeke (39), diplomier-te Bildhauerin und an der Medienwerkstatt der Kunstakademie in Stuttgart tätig. Sie stammt aus Krakau in Polen und verlebte dort mit fünf Schwestern eine Kindheit, in der es noch kaum Fernsehen, aber umso mehr Anregungen für die eigene Fantasie gegeben habe. Zum Beispiel in der Oper, in der ihr Vater Orchestermusiker war und wo Justyna von den prächtigen Kostümen für die Inszenierungen fasziniert war. „Wir haben viel gemalt und gezeichnet, und unsere Lieblingsmotive waren Prinzessinnen und Heilige“, erzählt Justyna Koeke. „Denn als Kind glaubt man doch, dass man schön und gut sein muss. Und dass das Beste, was einem im Leben passieren kann, die Rolle der Prinzessin oder der Heiligen ist.“

Für starke, selbstbewusste und mutige Frauen

Als sie die Zeichnungen aus ihrer Kindheit zufällig wieder fand, habe sie Lust auf deren Umsetzung in wirkliche Gewänder und Objekte bekommen. Aus Freude an der textilen Opulenz. Aber auch als Statement gegen den Schönheits- und Jugendwahn, „der noch genauso präsent ist wie zu meiner Kinderzeit“, wie sie kritisch feststellt. Darum habe sie bewusst auch keine jungen Models haben wollen: „Schönheit hängt nicht vom Alter ab.“

Es hat schon seinen Sinn, dass mit dem internationalen Frauentag am 8.März der Termin für diese Show sehr bewusst gewählt ist. Für starke, selbstbewusste und mutige Frauen. Und dass das Fluidum kreativer Frauenpower den Raum animierend erfüllt, ohne dass die männlichen Begleiter und Bewunderer sich zurückgesetzt fühlen müssen. Denn ein ausdrucksstarkes Frauenzimmer, die finnische Künstlerin Mimosa Pale, bietet kess tanzend als weitere Alternative einer weiblichen Existenz die Zuckerpuppe dar: gespickt mit rosa Zuckerwatte, in zwei heißen Töpfen frisch produziert und auf Stäben am Körper platziert. Sehr süß. Und ganz schön frech.

Ist in Paris, Mailand oder sonst wo eine Fashion-Show vorüber, treten die großen Modeschöpfer, man denke nur an Karl Lagerfeld, nur und ausschließlich in Schwarz auf. Nicht anders hält es Justyna Koeke. Schwarz von Kopf bis Fuß. Aber ihre Strümpfe ziert als witzige Designer-Idee ein roter Hingucker: eine Wunde an den Knien mit einem dünnen Rinnsal von Blut. Verträumte kleine Mädchen schlagen sich eben auch mal die Knie auf.