Tesla-Chef Elon Musk gilt als genialer Vermarkter – doch mit dem Autopiloten, der nun an einem tödlichen Unfall beteiligt war, hat er es womöglich übertrieben Foto: AFP

Aggressive Vermarktung und viele Unfälle mit autonomen Autos: Experten halten die Strategie des US-Herstellers für gefährlich.

Stuttgart - Das selbstfahrende Auto wird bald technisch möglich sein – doch wer wird es kaufen? Die Autoindustrie hofft nicht nur auf einen neuen Absatzschub, sondern auch auf ganz neue Geschäftsmodelle. Wenn der Fahrer seine Aufmerksamkeit nicht mehr auf die Straße richten muss, könnte man die Windschutzscheibe zur Kinoleinwand machen und dem Fahrer Werbung oder Nachrichten zeigen – gegen Geld, versteht sich.

Doch bisher fehlt es an der verlässlichen Technik und am Vertrauen der Kunden. Deshalb hat der tödliche Unfall eines Tesla S mit einer Funktion namens Autopilot die gesamte Autobranche aufgeschreckt. Schon bisher fremdeln die Deutschen mit der Technik; der Unfall könnte das Vertrauen weiter unterminieren. Der Autopilot des Tesla verwechselte einen Lkw im Querverkehr mit einem Autobahnschild. Dabei war der Wagen kein Erprobungsfahrzeug, sondern ein Auto, das regulär auch auf deutschen Straßen fährt. 758 Tesla S wurden im ersten Halbjahr in Deutschland zugelassen; ob ein Autopilot an Bord ist, wird allerdings nicht erfasst.

Wer zu den auserwählten Käufern gehört, sollte sich als Pionier des autonomen Fahrens fühlen. Das System sei „wahrscheinlich schon heute besser als der Mensch“, sagte der charismatische Tesla-Chef Elon Musk. Innerhalb von einem oder zwei Jahren werde es technisch möglich sein, einen Tesla „von der anderen Seite der USA herbeizurufen“.

Der ADAC hält die US-Firma keineswegs für einen Pionier

Nach Einschätzung des ADAC ist Tesla bei der Technik des autonomen Fahrens aber keineswegs ein Pionier. Es handle sich vielmehr im Kern um die schlichte Kombination aus einem Abstandsregelautomaten und einem Lenkassistenten, wie ihn schon viele Hersteller anbieten. Damit fielen die Funktionen des Autopiloten nur unter die Kategorie des teilautonomen Fahrens.

Allerdings reiche die Ultraschallerkennung, mit der von hinten nahende Fahrzeuge vor einem Spurwechsel erkannt werden, nur 50 Meter weit. Das könne für schnell aufschließende Autos zu wenig sein. Andere Hersteller verfügten hier bereits über Radarsensoren mit wesentlich höherer Reichweite. Bereits nach der Markteinführung hatte der ADAC gewarnt, Teslas Sensorik entspreche nicht dem Stand der Technik. Dennoch suggeriere der Autopilot, dass sich der Fahrer auf das System verlassen könne, sagte eine Sprecherin unserer Zeitung. Tesla solle hier „dringend nachbessern und bis dahin die Automatisierung auf einzelne Fahrmanöver beschränken“.

Beim Unfall von Florida fuhr der Tesla fast ungebremst in die Seite des Lkw. Wie das geschehen konnte, wird derzeit untersucht. Der Fahrer hatte möglicherweise zu sehr auf den Autopiloten vertraut. Jedenfalls sagte der Fahrer des Unglücks-Lkw, nach dem Unfall sei aus dem Auto ein Harry-Potter Film zu hören gewesen; im Inneren wurde tatsächlich ein DVD-Player gefunden.

Der Fahrer wird lediglich ermahnt, die Hände am Steuer zu lassen

Marktexperten gehen davon aus, dass die ersten Käufer diejenigen sind, die der Technik besonders vertrauen – und die deshalb von der Bezeichnung „Autopilot“ besonders in die Irre geführt werden. Denn diese Bezeichnung suggeriert, dass das Auto von selbst fährt, was es schon aufgrund der globalen Rechtslage aber weder kann noch darf – in den USA ebensowenig wie in Deutschland. Tesla weist die Fahrer deshalb bei jeder Aktivierung des Autopiloten darauf hin, dass der Fahrer „immer die Hände am Lenkrad haben und jederzeit zum Eingreifen bereit sein muss“. Doch anders als bei anderen Marken wird dies bei Tesla nicht erzwungen. Der Fahrer wird zwar gewarnt, wenn die Sensorik bemerkt, dass niemand mehr das Lenkrad in der Hand hat – doch Konsequenzen hat dies zunächst nicht. Auf dem Videoportal Youtube kursieren sogar Filme, auf denen der Fahrer auf dem Rücksitz Platz genommen hat.

Auch Daimler hat mit der E-Klasse inzwischen ein Auto auf dem Markt, das bis zu 210 Stundenkilometer fahren kann. Hier wird der Griff ans Lenkrad jedoch gewissermaßen erzwungen. Nimmt der Fahrer die Hände mehr als einige Sekunden vom Steuer, wird er erst optisch und dann akustisch gewarnt, bevor das Fahrzeug schließlich immer langsamer wird oder den Nothalte-Assistenten auslöst, der das Auto kontrolliert zum Stillstand bringt. Die Philosophie dahinter sei, dass die Leute gar nicht erst ausprobieren sollen, die Kontrolle abzugeben, sagt Christoph von Hugo, Leiter Aktive Sicherheit bei Daimler, unserer Zeitung.

Experte: Tesla stiehlt sich aus der Verantwortung

Mit den Warnhinweisen in der Bedienungsanleitung sichert sich Tesla gegen das Risiko ab, bei einem Unfall zur Verantwortung gezogen zu werden und überlässt es dem Fahrer, inwieweit er sich daran hält – der wiederum durch Musks Sprüche in dem Glauben gewogen wird, mit seinem E-Auto der Technik weit voraus zu sein. „Tesla stiehlt sich aus der Verantwortung und schickt den Fahrer voll ins Risiko“, sagt ein hochkarätiger Robotik-Experte, der sich um die Akzeptanz der Technologie sorgt und wegen seiner Mitwirkung nicht genannt werden will.

Noch können die Assistenzsysteme komplizierte Verkehrslagen nicht einschätzen. Schon für den menschlichen Fahrer selbstverständliche Situationen wie die Einfahrt in einen Tunnel stellen diese Systeme vor große Probleme – es könne sich ja auch um eine dunkle Wand handeln. Einen echten, verkehrstauglichen Autopiloten gibt es noch nicht – auch nicht beim Hersteller Tesla, der womöglich nach der Devise verfährt, als Erster ein Produkt auf den Markt zu bringen und es dann stufenweise zu verbessern.

„Das Produkt reift beim Kunden“ – diese Devise trägt im Silicon Valley dazu bei, dass neue technische Lösungen und Geschäftsmodelle in enormer Geschwindigkeit auf den Markt kommen. Die Firmen erobern damit Marktanteile, sammeln parallel Erfahrungen – und sind dann auch mit verbesserten Produkten schneller auf dem Markt. Das mag bei Apps funktionieren, beim Auto jedoch ist dieser Ansatz gefährlich. Tesla erwecke den Eindruck, das iPhone der Autobranche auf den Markt zu bringen, sagt der Robotik-Experte. Doch beim iPhone sei eine Fehlfunktion ärgerlich, beim falsch genutzten Autopiloten könne sie tödlich sein, wie der Unfall in Florida gezeigt habe.