Kaum ein Platz frei: Im Blauen Engel in Ludwigsburg läuft das Geschäft derzeit gut. Foto: factum/Simon Granville

Seit einigen Wochen haben die meisten Gastronomiebetriebe wieder geöffnet. Wie kommen sie zurecht?

Kreis Ludwigsburg - Volle Biergärten, ausgedehnte Außenbewirtung, bei der kein Tisch frei bleibt: Nach dem Corona-Tief brummt es in der Gastronomie-Branche, könnte man auf den ersten Blick glauben. Aber der Eindruck trügt. Die Existenzängste bei Hoteliers, Restaurants und Kneipen sind groß – und die Sorge vor dem Winter hat die meisten fest im Griff.

„Irgendwann ist dieser Sommer vorbei. Und viele Mitgliedsbetriebe fragen sich: Wie kommen wir dann durch den Winter?“, sagt Daniel Ohl, Pressesprecher des Hotel- und Gaststättenverbandes Baden-Württemberg (Dehoga). Die Kunden fühlten sich im Freien sicherer und seien „deutlich zurückhaltend“, wenn es um Innenbereiche gehe. „Auch wenn die Umsätze in einzelnen Betrieben mit guten Außenbewirtschaftungsmöglichkeiten aktuell wieder gut sind: Was im Frühjahr nicht gegessen und getrunken worden ist, wird jetzt nicht zweimal gegessen und getrunken. Die Einnahmen fehlen einfach“, so Ohl. „Und für Clubs und Discos ohne Eröffnungsperspektive oder für Event-Caterer ist die Lage noch dramatischer.“

In der Hochphase der Krise seien viele Kosten – Steuern, Mieten, Kredite – gestundet worden, erklärt Dehoga-Sprecher Ohl. „Gestundet ist aber nicht geschenkt. Das heißt, es gab keine Einnahmen, das Eigenkapital ist geschmolzen und die Schulden sind gestiegen“, so Ohl. Einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Dehoga-Umfrage zufolge sehen sich rund 60 Prozent aller Betriebe in ihrer Existenz gefährdet, der bisherige Umsatzverlust durch Corona im Ländle wird mit rund drei Milliarden Euro beziffert. „Wir können froh sein, dass der Staat gehandelt hat“, findet Ohl. In Baden-Württemberg habe das Hotel- und Gaststättengewerbe doppelten Grund zur Dankbarkeit: Das Land habe als Einziges ein weiteres, speziell auf die Branche zugeschnittenes Stabilisierungshilfepaket geschnürt und 330 Millionen Euro bereitgestellt.

Nein, zumindest nicht in Ludwigsburg. Die Situation ist ähnlich wie in den vergangenen Jahren. „Ein Anstieg von abgemeldeten Gaststätten konnte bislang nicht beobachtet werden“, heißt es auf Nachfrage. Auch in Bietigheim-Bissingen und Vaihingen/Enz sind keine coronabedingten Abmeldungen bekannt.

Momentan können sich zumindest diejenigen Wirte, die die Möglichkeit haben, ihre Gäste im Freien zu bewirten, nicht beschweren. „Wenn man Außenplätze hat, sind die derzeit meistens auch ausgebucht“, sagt Pascal Fetzer von der Krone Alt-Hoheneck. Wer in dem schwäbischen Restaurant anruft und am selben Tag einen Platz im Freien haben möchte, ist zumeist schon zu spät dran.

Ähnlich ist es im Blauen Engel. „Wir machen gerade ähnliche Umsätze wie im vergangenen Jahr“, sagt Fabian Lippe. Bei gutem Wetter ist die Terrasse proppenvoll. In den vergangenen Wochen sei auch viel Kreativität gefragt gewesen, um möglichst viele Gäste bewirten zu können. Der Blaue Engel hat beispielsweise mobile Holztrennwände bei einem Schreiner beauftragt, um möglichst flexibel im Außenbereich zu sein.

Wer sein Geschäft nicht nach draußen verlagern kann, muss sich irgendwie anders behelfen. Das Allgäu von Christoph Rieger zum Beispiel ist zu klein, um einen vernünftigen Betrieb zu gewährleisten, und deshalb seit Beginn der Corona-Pandemie geschlossen. Rieger will Anfang September aber wieder öffnen. Bis dahin verköstigt er die Besucher des Open-Air-Kinos in der Karlskaserne. „Dass wir das machen können, ist ein großes Glück“, sagt Rieger. Die lange Schließung habe zwar seine finanziellen Reserven aus den vergangenen drei Jahren aufgefressen, er habe aber keine Mitarbeiter entlassen müssen. „Geld bekomme ich wieder“, sagt Rieger, „so gute Mitarbeiter eher nicht.“

„Die Rechnung, wie groß der Schaden wirklich ist, kann man erst am Ende des Jahres machen“, sagt Pascal Fetzer von der Krone Alt-Hoheneck. Er hofft, wie die anderen Gastronomen auch, auf einen langen Sommer – und darauf, dass er das Restaurant offen lassen kann. Eine erneute Schließung wäre für viele Restaurants ein Supergau. „Unser Take-away-Geschäft ist beim ersten Mal super gelaufen“, so Fetzer. Er bezweifelt aber, dass es beim zweiten Mal eine ähnlich große Welle der Solidarität gibt. Auch Florian Fleischmann vom Lange am Markt befürchtet, dass die Gäste im Falle eines zweiten Lockdowns zurückhaltender sein könnten. „Ich denke, dass viele, die jetzt in Kurzarbeit waren, auch einfach weniger Geld zur Verfügung haben.“

Eine erzwungene Schließung würde einige Restaurants mit Sicherheit an den Rand der Existenz bringen. „Wann und wie wir dann wieder öffnen könnten, kann ich nicht sagen“, so Fabian Lippe vom Blauen Engel. Ein Betrieb im Herbst – ohne Lockerungen bei den Abstandsregeln – sei schon schwierig genug. Im Innenbereich des Blauen Engels fallen wegen der Abstandsregeln mehr als die Hälfte der Plätze weg. Peter Buhl, Chef im Post-Cantz, ist da besser dran. Weil der Gastraum ohnehin in Nischen unterteilt ist, kann er ihn fast komplett nutzen. „Wir haben aber vor allem ältere Stammgäste und die sind derzeit sehr vorsichtig“, so Buhl.

„Im April hatten wir sechs Prozent Auslastung“, sagt Karl-Heinz Czaker, Chef des Gerlinger Hotels Krone, „im Mai zehneinhalb, im Juni 17, im Juli 24. Wenn es im August 15 Prozent werden, ist es viel.“ Wie der Krone, einem Geschäftshotel, das zu 95 Prozent von Firmenkunden lebt, geht es vielen Herbergen im Kreis Ludwigsburg. Die Branche lebt hier nicht in erster Linie von touristischen Übernachtungen, sondern von Geschäftsreisenden der großen und mittelständischen Unternehmen im Stuttgarter Speckgürtel.

Mit Sorge blicken die Tagungs- und Geschäftshotels auf die kommende Zeit. „Mehr als 50 Prozent der Firmen können sich vorstellen, Reisetätigkeiten einzustellen und Treffen aufs Virtuelle zu verlegen“, sagt Czaker, der auch Vorsitzender der Dehoga-Kreisstelle Ludwigsburg ist. Und er befürcht, dass die Firmen die Preise bei den Hotels nun noch weiter zu drücken versuchen – „und wir dann nicht gemeinsam dagegenhalten, sondern jeder für sich kämpft“. Mit einem für schlechte Zeiten zurückgelegten Spargroschen und Kurzarbeit sei sein Hotel bisher durchgekommen, „entlassen mussten wir auch niemanden“. Er will die Zuversicht nicht aufgeben – „aber Pessimismus mischt sich trotzdem darunter“.

Ludwigsburg erlässt den Gastronomen 75 Prozent der Jahresgebühr für die Außenbewirtschaftung. „Das wurde in den Rückmeldungen als hilfreich bezeichnet und dankend angenommen“, so die Auskunft der Pressestelle. Die Maßnahme helfe den Wirten, die Fixausgaben einzudämmen.

So sieht das auch der Ludwigsburger Innenstadtverein Luis. Er will bei der Stadt darauf pochen, die Vergünstigungen auch im kommenden Jahr beizubehalten, sollte sich die Situation nicht entspannen. „Wenn man gerade durch die Stadt läuft, dann sieht man kaum Menschen in den Restaurants sitzen“, sagt Benedikt Wegele. Auch deshalb sei die Hilfe der Stadt bei der Außengastronomie so wichtig. 23 Gastrobetriebe haben die Ausweitung ihrer Außenfläche beantragt – das ging ohne formellen Antrag, es musste nur ein aktueller Plan eingereicht werden, der aus straßen- und gaststättenrechtlicher Sicht geprüft wurde. Gebühren nahm die Stadt dafür keine. Auch in Bietigheim-Bissingen durften Gastronomen ihre Außenflächen erweitern, ohne dafür zu zahlen.

„Im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen die Stadt Ludwigsburg und ihre Töchter ihre Mieter, falls diese Bedarf haben, mit der Stundung von Mieten, um sie über die schwierigste Zeit zu bringen“, erklärt die Pressestelle. In „gravierenden Ausnahmefällen“ reiche das bis zum Mieterlass. „Viele Gastronomen haben aufgrund von Corona hohe Umsatzeinbußen hinnehmen müssen“, sagt Oberbürgermeister Matthias Knecht. „Trotz ihrer eigenen angespannten Finanzlage ist es der Stadtverwaltung wichtig, sie so gut wie möglich zu unterstützen.“ Die vielfältige Gastronomie trage entscheidend zur Attraktivität der Stadt bei: „Sie macht Ludwigsburg lebendig und lebenswert.“