In Istanbul protestieren die Menschen gegen die Regierung Erdogans. Foto: dpa

Der Korruptionsskandal in der Türkei hat die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in eine ihrer schwersten Krisen gestürzt. Zehn Minister treten zurück, Erdogan lehnt seinen Rücktritt ab. Doch die Kritik am Premier wächst. Ausgestanden dürfte der Skandal nicht sein.

Ankara - Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat in seiner elfjährigen Amtszeit viele Krisen gemeistert. Zuletzt überstand er die schweren Gezi-Proteste im Mai und Juni. Der Korruptionsskandal setzt Erdogan nun allerdings unter weitaus größeren Druck.

Drei Minister hatten am Mittwoch das Handtuch geworfen, unter ihnen Umweltminister Bayraktar, der Erdogan aufrief, ebenfalls zurückzutreten. Nur Stunden später tauschte der Regierungschef große Teile seines Kabinetts aus. Zehn von 26 Ministerposten besetzte er neu. Am Donnerstag trat das neue Kabinett erstmals zusammen.

Besonders die Umstände des Rücktritts von Bayraktar sorgten am Donnerstag für Unruhe. Bayraktar erklärte seinen Amtsverzicht in einem Telefonat mit einem Fernsehsender. Er sei zum Rücktritt gedrängt worden, um die Regierung zu entlasten. Bei den Punkten, die die Ermittler untersuchten, habe er aber meist auf Anordnung Erdogans gehandelt. Die zersplitterte und wenig einflussreiche Opposition verlangt seit Tagen den Rücktritt der gesamten Regierung.

Erdogan hält die Korruptionsermittlungen für ein Komplott „dunkler Allianzen“ aus dem In- und Ausland, die mit einer „dreckigen Operation“ seine Regierung stürzen wollten. Die Tageszeitung „Hürriyet“ zitiert ihn mit der Aussage, wer gegen ihn vorgehen wolle, werde scheitern. Die Kader seiner islam-orientierten Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) hätten eine Weste „so weiß wie Milch“, sagte Erdogan. „Diese Verschwörung ist nicht nur gegen die AKP, nicht nur gegen die Regierung, sondern gegen 76 Millionen Türken gerichtet.“ Es gehe um nicht weniger als den „Unabhängigkeitskampf“ der neuen Türkei.

Vier einstige Minister stehen besonders im Zentrum des Korruptionsskandals. Die Ermittler untersuchen unter anderem, ob gegen Schmiergeldzahlungen Iran-Sanktionen (unter anderem mit Hilfe von Goldtransfers durch die staatliche Halkbank) unterlaufen und illegale Baugenehmigungen erteilt wurden. Die Söhne von Zafer Caglayan (bisher Wirtschaftsminister) und Muammer Güler (bisher Innenminister) sitzen in Untersuchungshaft. Bayraktars Sohn war ebenfalls festgenommen worden, ist aber gegen Auflagen wieder auf freiem Fuß. Berichten zufolge sollen in seinem Haus umgerechnet 3,3 Millionen Euro Bargeld sichergestellt worden sein. Unter Druck geraten war in dem Skandal auch EU-Minister Egemen Bagis. Er hatte bei den Gezi-Protesten mit Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel die deutsch-türkischen Beziehungen belastet. Bagis trat nicht freiwillig zurück und wurde geschasst.

Während viele Medien bei den Gezi-Protesten gleichgeschaltet wirkten, folgt nun ein bedeutender Teil Erdogan nicht mehr. Die Zeitung „Zaman“ und ihr englischsprachiges Schwesterblatt „Today’s Zaman“ gehen den Regierungschef besonders scharf an und titeln: „Erdbeben“. Beide gehören zur Bewegung des in den USA im Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen, der hinter den Kulissen zu Erdogans schärfstem Widersacher geworden sein dürfte.

„Mit einer durch Trotz und Wut getarnten Verzweiflung“ ziehe Erdogan sich, seine Partei und das Land Schritt für Schritt ins Chaos, schrieb „Today’s Zaman“. Die Zeitung „Hürriyet Daily News“ warf Erdogan vor: „Er hat eine Hexenjagd gegen dieselbe Polizeitruppe entfesselt, die er während der Gezi-Proteste himmelhoch lobte. Damit versucht er, die Unterstützer Fethullah Gülens auszumerzen, den er als den wichtigsten Verschwörer sieht und der deswegen sein Hauptfeind geworden ist.“ Gülen wird großer Einfluss bei der Polizei nachgesagt.