Zielen statt prahlen: Harry Graf geht sensibel mit seinem Hobby um. Foto: privat

Der Kornwestheimer Harry Graf hat im „Bewegungsschießen“ schon fast alles gewonnen.

Kornwestheim - Modern und dynamisch“ sagen die Befürworter, „Kriegsspiel“ nennen es die Kritiker. „Ich prahle sicher nicht herum“, sagt Harry Graf, wenn es um sein Hobby geht: Bewegungsschießen. „Wenn mich jemand fragt, dann erkläre ich ganz ruhig, was ich mache, zeige vielleicht auch ein paar Videos und spreche auch über die Sicherheit.“ Mit tiefer gehender Kritik an seinem Tun ist der Kornwestheimer allerdings laut eigener Aussage noch nie konfrontiert worden – vielleicht liegt es an seiner Zurückhaltung. Auch sagt er: „Wenn bei uns zum Wettkampf jemand in Tarnkleidung anreisen würde – der würde schräg angeschaut werden und dürfte überhaupt nicht starten.“

Bewegungsschießen, was ist das überhaupt? International wird die Sportart als „IPSC“-Schießen bezeichnet, was sich aus der Abkürzung des Verbandes ableitet: International Practical Shooting Confederation. Dabei geht es auf Zeit. Ein Schütze muss einen vorher bekannten Parcours absolvieren und verschiedene Ziele treffen – all das möglichst schnell.

Neues Hobby gesucht – und gefunden

Harry Graf, inzwischen 67 Jahre alt, hat Anfang des Jahres seine Praxis für Physiotherapie in neue Hände übergeben. Er ist bereits seit 1991 begeisterter Bewegungsschütze. Ein Jahr zuvor suchten seine Frau und er selbst nach einem schweren Autounfall nach einem neuen Hobby. Es lockte der Tag der offenen Tür bei der Schützengilde Kornwestheim. „Das hat Spaß gemacht, also sind wir Mitglieder geworden.“ Eine Vorführung des einstigen Weltmeisters Rob Leatham 1991 auf einem US-amerikanischen Schießstand in Frankfurt änderte schließlich Grafs Sicht der Dinge. „Er hat gezeigt, was IPSC bedeutet, das hat mich sofort begeistert.“ Inzwischen ist Graf Mitglied eines pfälzer Vereins, dem PPS Team 93. Gemeinsam trainiert man nach wie vor im badischen Philippsburg, einem der Mekkas der internationalen Bewegungsschützenszene.

Harry Graf hat es in seiner Sportart ganz nach oben geschafft, war Weltmeister, Europameister und zigfacher Deutscher Meister. Lange schoss er in der offenen Klasse, „quasi der Formel 1“, wie er selbst sagt. Die Website www.all4shooters.com schreibt, die Schützen benutzen dabei „besonders teure, hochgezüchtete Wettkampfpistolen“. Das kommt hin: Erlaubt sind überlange Magazine, Leuchtpunktvisiere und Kompensatorsysteme, also High-Tech pur. Doch vor Kurzem war für Harry Graf der Moment gekommen, auf einen Teil davon wieder zu verzichten.

Platz drei von 21

Denn bei den deutschen Meisterschaften, die am vergangenen Wochenende in – natürlich – Philippsburg abgehalten wurden, trat er in der sogenannten „Production Optics“-Klasse an. Magazine mit Platz für bis zu 28 Schuss oder eine spezielle Position der Waffe am Gürtel, das gibt es nun nicht mehr für ihn. „Man startet mit 15 Schuss, und auch die Trefferwertungen sind anders. Man muss sich da schon rein arbeiten“, sagt er. Harry Graf hat das geschafft. In der Alterswertung der sogenannten Supersenioren landete er auf Treppchenplatz 3 von 21 Teilnehmern. Und, was der Kornwesteimer noch höher bewertet: In der offenen Klasse belegte er in einem 80 Teilnehmer starken Starterfeld Rang 23.

Das gute Ergebnis hängt nach Grafs Ansicht vor allem mit seiner guten Fitness zusammen. „Rennen kann ich noch sehr gut“, sagt er und lacht. Außerdem habe der Respekt vor dem neuen Modus ihn zur Höchstleistung angetrieben. „Wenn man eine gewisse Angst hat, konzentriert man sich noch mehr.“ Lediglich einmal verfehlte er eine Scheibe komplett – wäre ihm dieser Fauxpas nicht passiert, Harry Graf wäre vielleicht eine noch größere Überraschung gelungen.

Fast kein Training seit Beginn der Pandemie

Aber verfehlte Scheiben und gewonnene Titel waren nicht das Wichtigste an diesem Wochenende. „Die Stimmung war wie bei einem Klassentreffen“, berichtet Graf, „viele hatten sich seit fast zwei Jahren nicht mehr persönlich getroffen.“ Er selbst hatte aufgrund der Corona-Pandemie fast komplett auf Training verzichtet.

Allerdings: Der Ehrgeiz flammt jetzt schon ein bisschen auf bei ihm. „Das wollte ich eigentlich gar nicht mehr, und ich hätte auch nicht damit gerechnet. Aber jetzt einfach nur dabei zu sein und mitzumachen, das würde mir sehr schwer fallen.“

Verband, Wettbewerbe und Weltweite Verbreitung

IPSC
Der Verband wurde 1976 im US-Bundesstaat Missouri gegründet. Erster Präsident war US-Soldat Jeff Cooper. Stand Juni 2021 gibt es in 105 Ländern Dachverbände für das IPSC-Schießen.

Wettkämpfe
An Wettbewerben teilnehmen dürfen ausschließlich Schützen, die Sicherheits- und Regeltests absolviert und dabei bewiesen haben, dass sie mit ihrer Waffe umgehen können und die Regeln sowie die Kommandos kennen. Eine Mitgliedschaft im Bund Deutscher Sportschützen ist außerdem Pflicht. Vor dem Wettkampf gehen die Teilnehmer die Parcours ab, teilweise sind die Areale schon Wochen vorher bekannt. Während des Wettbewerbs entscheiden die Schützen selbst, welches Ziel sie zuerst ins Visier nehmen und wo sie am besten das Magazin wechseln.

Weltweit
Laut IPSC-Auskunft üben weltweit mehr als 800 000 Schützen Bewegungsschießen aus.