Konstantin Wecker gastiert am Donnerstag in Stuttgart im Hegelsaal. Foto: dapd

Konstantin Wecker kommt nach Stuttgart: Ein Gespräch über das Konzert als „Liebesaffäre“ .  

Stuttgart - Sechs Jahre hat es gedauert, bis Konstantin Wecker mit "Wut und Zärtlichkeit" wieder ein neues Studioalbum veröffentlicht hat. Jetzt ist er damit auf Tournee unterwegs.

Herr Wecker, welchen Sinn macht es heute, ein Studioalbum aufzunehmen? In einer Zeit, in der sich jeder seine Lieblingssongs aus dem Internet herunterlädt?
Bei mir ist das Gott sei Dank nicht der Fall, vielleicht ist das ein Vorteil des Alters. Viele haben mir Mails geschrieben, dass sie sonst ihre Sachen runterladen, aber in diesem Falle wollen sie fairerweise das komplette Album kaufen. Aber generell geht es eh nicht darum, mit Alben Geld zu verdienen. In Zeiten, als man das noch konnte, hing ich so in den Fängen der Plattenfirmen, dass die verdient haben und nicht ich. Heute habe ich zwar ein eigenes Label, doch jetzt ist die Zeit rum, dass man damit etwas verdienen kann.

Warum haben Sie dann dennoch dieses neue Album veröffentlicht?
Weil ich darauf brenne, neue Songs zu schreiben. Sechs Jahre lang ist mir nichts eingefallen. Ein kabarettistisches Lied ist mir eingefallen über Karl-Theodor von Guttenberg. Aber jetzt hat der mich verlassen, und ich kann dieses Lied nicht mehr singen. Ich habe schon angedeutet: Wenn die Merkel auch noch vorzeitig geht, kann man mich engagieren als einen, der Politiker wegsingt. Jetzt war ich einen Monat lang in der Toscana alleine und ohne Termine. Und da sind diese 14 Texte förmlich herausgeflossen, als wären sie in mir schon geschrieben gewesen. Und das Vertonen fällt mir immer leicht, die Melodien flutschen immer, das ist ein großes Geschenk.

Auffallend sind der steigende Zynismus und Sarkasmus Ihrer Texte. Empfinden Sie das selbst eigentlich auch so?
Ein Lied wie "Virus" ist eindeutig sarkastisch, allerdings mit einer Aufforderung, deren konkrete Durchsetzung mir viel Spaß bereiten würde, das Wegnehmen von Statussymbolen. Politisch ängstigt mich am meisten, dass eine wild gewordene Finanzwirtschaft alles an sich gerissen hat. Die Politik hinkt hinterher, ist nur damit beschäftigt, das auszubügeln, was die anderen angestellt haben. Ein Zyniker bin ich eigentlich nicht. Ein Zyniker hat alles aufgegeben, er braucht immer ein Gegenüber, der das Zynische erkennt. Allein ist man nicht zynisch, höchstens ironisch. Ich dagegen habe noch Hoffnungen und Utopien, ich glaube an diese und möchte daran festhalten. Das Lied über die Kanzlerin halte ich nicht für zynisch, eher ist es eine ironische Liebeserklärung. Erschreckt hat mich das Lied vom Sterben. Da habe ich über die Poesie etwas rausgelassen, was ich mir über meine Verdrängungsmechanismen gar nicht gestattet hätte. Als es fertig war, habe ich Angst bekommen und wollte es von der CD nehmen. Doch die Musiker haben mich eher darin bestärkt, dies reinzunehmen, weil es sie sehr angesprochen und berührt hat.

Auch das von Ihnen kritisierte Verkehrs- und Städtebauprojekt Stuttgart 21 erwähnen Sie in einem Ihrer Lieder. Erinnern Sie sich noch an Ihren Auftritt während einer Protestaktion?
Als Nicht-Stuttgarter sehe ich das in einem größeren Zusammenhang: Es ist ein Aufstand gegen die jahrzehntelange Mauschelei, die man nicht mehr ertragen will, diese Klüngelei zwischen Wirtschaft und Politik im Verborgenen. Da gibt es einen Ruck durch die Gesellschaft, das hat auch mit dem Niedergang der CSU zu tun. Die haben es übertrieben. Es ist jetzt noch lange nicht alles vorbei, aber es werden jetzt Denkzettel verteilt. Bayern und die CSU, das war für uns Bayern wie in Stein gemeißelt wie die kommunistische Welt bis zur Wende.

Liebeslieder gehören auch noch zu Ihrem Repertoire?
Sie haben mich überrascht, ich kann noch nicht genau sagen, was sich da geändert hat: vielleicht eine größere Leichtigkeit loszulassen, auch eine gewisse Ironie, was ich früher nicht hatte. Es ist spannend auch als Autor zu sehen, dass man eine Wandlung in sich entdeckt. Vielleicht hat es auch so lange gedauert, bis ich wieder etwas geschrieben habe, weil ich nicht das Gefühl hatte, dass ich mich ändere.

"Ich weiß, was ich ganz am Schluss spiele"

Wie erhalten Sie sich den erstaunlich frischen Gesangston? Man glaubt kaum, dass im Vergleich zu Ihren ersten Liebesliedern 30 Jahre vergangen sind.
Vielleicht hat das mit der wachsenden Fähigkeit des Loslassens zu tun. Als junger Mann will man nicht loslassen, sondern in Besitz nehmen. Das ist auch richtig so, das gehört zur Jugend. Der Weg ist eben lang, sich zu verändern. Wenn ich über das Alter nachdenke, wird mir gruselig. In den Stunden des Musizierens gibt es kein Alter. Ich bin viel mit Charlie Mariano aufgetreten, er war damals 70, ich 50. Und es gab keine Altersunterschiede, obwohl wir damals einen ganz jungen Schlagzeuger hatten. Natürlich stellt man sich auch die Frage, wie lange man noch auf die Bühne geht. Wobei, für mich ist das klar, ich bin darauf angewiesen, das ist mein Beruf.

Musikalisch schöpfen Sie aus dem Vollen von der kleinen Sinfonie bis zum kleinen Klavierstück, sie zitieren auch Hans Eissler. Wie kam es dazu?
In den letzten zehn bis 15 Jahren habe ich viel dazugelernt, ich habe Filmmusiken und Kindermusicals gemacht und habe neue Musiker kennengelernt, was immer sehr wichtig ist. Es war nie mein Problem, ein stilistisch vielseitiges Album zu machen. Mir ist es wichtig, den Text zu vertonen, und der von "Virus" schreit nach Eissler, da habe ich keine andere Möglichkeit gesehen. Seit zwei Jahren arbeite ich mit dem Produzenten Florian Moser zusammen, er hat die Übersicht behalten. Er war eine große Hilfe, zumindest das Klangbild ist einheitlich.

Wie stellen Sie denn ein Live-Programm zusammen?
Wichtig sind die Eckpunkte. Bisher gab es immer den "Willy" vor der Pause, weil man gleich danach eigentlich nichts spielen kann. Jetzt würde ich gerne "Es geht zu Ende" an diesen Platz setzen, aber hoffentlich fallen die Leute dann nicht in eine Pausendepression. Generell will ich, dass die Leute gestärkt rausgehen und wieder die Kraft haben, ihre eigene Meinung durchzusetzen.

Wen nehmen Sie auf die Tour mit?
Im Prinzip die Musiker, mit denen dieses Album eingespielt wurde, dazu gehören Jo Barnikel, der Perkussionist und Gitarrist Jens Fischer-Rodrian oder der Pedal-Steel-Spezialist Nils Tuxen. Die Erfahrung zeigt, dass die Kraft des Live-Erlebens viele Instrumentenstimmen aufwiegt.

Und geben Sie nach wie vor einen großen Zugabenblock?
Ein Konzert dauert bei uns etwa drei Stunden, das finde ich angemessen, die Leute haben ja etwas dafür bezahlt. Dahinter steckt aber auch die Angst vor dem letzten Ton: Das Saallicht geht an, das Publikum geht, und man ist auf einmal wahnsinnig allein nach einer dreistündigen gemeinsamen Liebesaffäre mit dem Publikum.

Wie spontan sind Sie im Zugabenblock?
Ich weiß, was ich ganz am Schluss spiele, wenn ich das Publikum definitiv entlasse. Aber sonst? Meine Musiker sind es gewohnt, dass ich vor allem am Beginn einer Tournee das Programm kurzfristig völlig umstelle.