Mehr Gerechtigkeit durch den Videobeweis? Der Einflüsterer aus Köln stiftet häufig nur Verwirrung Foto: dpa

Trainer schäumen vor Wut, Fans verstehen die Welt nicht mehr, und Schiedsrichter verzweifeln: Macht der Videobeweis den Fußball gerechter? Kann sein, aber er beschädigt das Spiel.

Stuttgart - Weil es zur Aussicht auf eine Woche voller beschwerlicher Arbeit passt, erörtern die Freunde des Fußballspiels vorzugsweise montags tief schürfende Fragen der Gerechtigkeit. Oft beginnen sie mit der Widersprüchlichkeit eines Lattenknallers und nicht selten enden sie mit der Ausschließlichkeit am Elfmeterpunkt. Schon beim Schuss gegen das Quergebälk des gegnerischen Tores bewegen sich Für und Wider der Gedanken zwischen unfassbarem Pech und galoppierendem Unvermögen. An der Dialektik eines Strafstoßes aber sind schon Freundschaften zerbrochen, Ehen gescheitert und berufliche Laufbahnen zerschellt. Und jetzt auch noch dieser verkorkste Videobeweis!

Die letzte Instanz in Köln

Denn wer letztinstanzlich darüber richtet, was gerecht ist und was nicht, nennt sich entweder „Chef“ oder neuerdings Video-Schiri in einem Fernsehzimmer in Köln. In jedem Fall verfügt er aber über die sich selbst verliehene Gabe, die Wahrheit ganz genau und auch sonst alles besser zu wissen. In den Stand sich über andere zu erheben, versetzt den Über-Unparteiischen die glückliche Fügung sich nicht der Unmittelbarkeit des Spiels auszuliefern. Der Video-Schiedsrichter spult mit zweifelnden Blick noch einmal zurück, was der Gang der Dinge im Stadion längst schon verschluckte. Dann funkt der Herr der Regeln seine Korrektur ins Ohr des vermeintlich irrenden Kollegen. Der zeichnet dann mit bedauernder Geste und für jedermann sichtbar einen Bildschirm in die Luft.

Sofort bedrängen die Hauptdarsteller des wirren Schauspiels in manipulativer Absicht den Referee. Die Zuschauer harren pfeifend der Dinge. Sekunden dauern eine Ewigkeit. Dann wird entschieden. Und niemand weiß, warum. So verliert das Spiel an Stimmung und Würde, der Schiedsrichter an natürlicher Autorität. Er macht Fehler. Wer nicht? Es wächst weiter die Distanz zwischen denen, die den Fußball beherrschen und jenen, denen er gehört. Der Videobeweis nach Art der Fußball-Bundesliga soll mehr Gerechtigkeit schaffen in einem Geschäft in dem Millionen längst mehr zählen als mutige Dribblings und kühne Pässe. Tatsächlich spiegelt das vom Geschehen entrückte Konstrukt den deutschen Hang zu Bürokratie und Vollkasko wider – mit dem eisernen Willen alles so gründlich zu regeln, bis es kein Mensch mehr versteht. Als gäbe es nicht schon Anlässe genug, sich dem Spiel zu entziehen: Korrupte Funktionäre in den Verbänden, mangelnde Rücksicht auf Rituale, Traditionen und Emotionen und die kurzatmigen Versuche, aus Vereinen kaltherzige Profitcenter zu formen.

Die Wahrheit ist auf dem Platz

In jedem Fall setzt das technische Hilfsmittel namens Videobeweis alles außer Kraft, was der Fußball als Metapher fürs richtige Leben lehrt: Denn gefühlt ist er so gerecht wie eine Steuererklärung. Und die Wahrheit ist, wie der weise Otto Rehhagel schon sagte, noch immer auf dem Platz. Wer es wirklich gut meint mit dem Fußball, wird es so weit wie möglich dabei belassen.

Die Chancen auf eine Rückbesinnung halten sich in Grenzen. Die Bosse beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) tragen die Nase hoch. In anderen Sportarten bekommen die Teams das Recht, den Videobeweis zwei- oder dreimal pro Partie zu beantragen. Der Referee hat am Spielfeldrand auf einem Bildschirm die Gelegenheit, die Szene selbstständig und stressfrei zu prüfen. Der Einflüsterer aus Köln wird überflüssig. Liegt das Team falsch oder kann die Situation nicht zweifelsfrei geklärt werden, verliert es sein weiteres Einspruchsrecht. Das ist für alle Beteiligten nahvollziehbar. Der Videoschiri im Fußball dagegen bleibt bis auf weiteres eine gute Idee, die schlecht funktioniert – und die nach jedem Spieltag dieselben Diskussionen auslöst: Alles nur Theater!

gunter.barner@stuttgarter-nachrichten.de