Ab 2026 soll jeder Grundschüler die Wahl haben, ob er ganztags zur Schule will oder, so wie bisher üblich, halbtags. Das droht zu scheitern. Foto: dpa/Roland Weihrauch

Bund und Länder müssen sich am Riemen reißen und den Rechtsanspruch auf Ganztag in der Grundschule auskömmlich finanzieren. Klappt das nicht, bleibt keiner unbeschädigt.

Stuttgart - Lange ist darum gestritten worden, aber am Ende waren nicht nur die große Koalition in Berlin, sondern auch alle Bundesländer dafür. Und jetzt soll der Rechtsanspruch auf Ganztag in der Grundschule doch noch scheitern? Auch wenn diese groß angelegte Bildungsreform, die die schwarz-rote Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vor vier Jahren beschlossen hat, viel Geld kostet – nämlich 12 Milliarden Euro allein während der vier Jahre, in denen das Ganztagsangebot an den Grundschulen schrittweise in ganz Deutschland ermöglicht werden soll – ist der Streit um die Finanzen kein akzeptabler Grund, der ein Scheitern rechtfertigen könnte.

 

Unrühmliche Rolle

Es wird wahrlich Zeit, dass alle Beteiligten auf Bundesebene und in den Ländern sich am Riemen reißen und die wahltaktischen Spielchen beenden. Denn solche muss man hinter der Verschleppung des bereits im Juni vom Bundesrat beantragten Vermittlungsverfahrens vermuten. Das ganze Prozedere ist ein Trauerspiel, in dem die in Mecklenburg-Vorpommern um ihre Wiederwahl kämpfende Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) eine besonders unrühmliche Rolle spielt. Denn sie ist bis Ende Juli auch Chefin des Vermittlungsausschusses gewesen und hat bis in den späten August hinein rein gar nichts getan, um eine Lösung zu finden. Wochen nachdem sie den Stab an ihren Nachfolger von der CDU weitergegeben hatte, schrieb sie Vermittlungsausschusschef Hermann Gröhe einen Brief und drang nun auch auf eine rasche Anrufung des Gremiums. Auf eine Erklärung für dieses Vorgehen, wäre man wirklich gespannt.

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Konflikte sind keine Überraschung

Dass die Entscheidungsträger erst spät von den hohen Kosten, die der Rechtsanspruch auf Ganztag in der Grundschule nach sich zieht, überrascht worden wäre, darauf kann sich nun wirklich keiner der Beteiligten herausreden. Auch die Uneinigkeit darüber, was der Bund in der Schulpolitik überhaupt entscheiden soll, wo doch die Länder qua Verfassung dafür zuständig sind, ist so alt bekannt wie die Unzufriedenheit mancher Ministerpräsidenten mit der Programmpolitik des Bundes, die sich auf die Anschubfinanzierung für Reformen im Bildungsbereich beschränkt. Winfried Kretschmann, der jetzt mit seinem Finanzierungsvorschlag Bewegung in die Sache bringen will, steht dabei ja mitnichten allein.

Scheitern untergräbt Vertrauen

Vier Wochen vor der Bundestagswahl wäre es verheerend, wenn das Vorhaben am Streit ums Geld scheitert. Damit würde nicht nur der Bildungsföderalismus, der wegen der großen regionalen Unterschiede im Schulwesen sowieso in schlechtem Ansehen bei vielen Bürgern steht, weiter diskreditiert. Das würde auch das Vertrauen in die Ernsthaftigkeit bildungspolitischer Initiativen der Bundesregierung erschüttern – und zwar über die aktuelle Koalition und den bevorstehenden Wahltag hinaus.

Reform für soziale Gerechtigkeit

Das wiegt umso schwerer, als die Pandemie die Schulen der Republik und alle daran beteiligten Schüler, Lehrer und Eltern seit zwei Jahren besonderem Stress aussetzt, der auch im dritten, gerade anlaufenden Corona-Schuljahr leider noch nicht zu Ende sein wird. Vor diesem Hintergrund wäre die Zumutung umso größer, wenn diese Reform platzt. Denn der Rechtsanspruch auf Ganztag in der Grundschule ermöglicht es allen Eltern von Erstklässlern, die das Angebot wahrnehmen wollen, dass ihre Kinder bei Lernschwächen ebenso wie bei besonderen Begabungen mehr gefördert werden als bisher und dass sie länger an der Schule betreut werden. Diese Reform ist ein Schlüsselprojekt für mehr soziale Gerechtigkeit an den Schulen. Es jetzt am Streit ums Geld scheitern zu lassen, ist nicht zu verantworten.