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Die Europäische Union dringt auf Einhaltung der Schadstoffgrenzwerte für die Luft in Stuttgart. Wer keinen Aufstand dagegen inszenieren will, muss wirksame Maßnahmen angehen. Ohne mehr Investitionen wird es aber nicht gehen, meint unser Redakteur Josef Schunder im Kommentar.

Stuttgart - Immer diese F-Fragen! „Wie halten Sie es mit Flüchtlingszuwanderung?“ Und neuerdings: „Wie stehen Sie zum Feinstaubalarm?“ Letzteres haben Stuttgart und die Region beantwortet. Etwa drei Prozent Autofahrer verzichteten – zumindest zu Beginn der Alarmphase, die letzte Nacht zu Ende ging – freiwillig auf ihren Wagen. Der Feinstaub-Grenzwert wurde an fast allen Tagen gerissen.

Der Alarm ist verpufft. Ergeben sich bei den nächsten Alarmfällen keine zählbaren Erfolge, müssen schärfere Maßnahmen her – vor dem Jahr 2018, auf das Land und Stadt fixiert sind. Das wollen nur viele nicht eingestehen, zumal man den Missstand nicht sieht und kaum riecht. Sie schimpfen über Umweltbürokratie und Grüne, weil die politisch (noch) am Ruder sind. Dabei möchten die Grünen, brav wie sie sind, die Autoindustrie gar nicht reizen. Vielmehr dringt die Europäische Union auf die Einhaltung der Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid. Wer dagegen keinen Aufstand machen will, muss wirksame Maßnahmen angehen. Das würde auch für eine künftige schwarz-gelbe Landesregierung gelten.

Stadt droht lahmgelegt zu werden

Beim jetzigen Stand der Automobilflotte werden die Grenzwerte kaum einzuhalten sein, ohne dass man den Autoverkehr in Zeitabschnitten mit kritischen Wetterlagen um etwa 50 Prozent verringert. Auf einen Schlag ist das Problem aber nicht zu lösen. Es geht um angemessene Schritte, aber schon um mutigere als bisher, weil die Gefahren für die Gesundheit groß sind. Dass immer und ewig das Damoklesschwert des Feinstaubalarms über der Gesamtheit der Autofahrer schwebt, kann es freilich auch nicht sein. Das schafft Ungewissheiten und lähmt, würde im Fall des konsequenten Vollzugs die Stadt lahm legen.

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Mindestens in einer ersten Stufe sollten künftig Fahrer der modernsten Autos mit Verbrennungsmotor und von sauberen Erdgas- und Elektroautos fahren dürfen. Der Bund muss das mit der Einführung einer blauen Umweltplakette ermöglichen. Und zwar schnell. Die anderen Autofahrer, und das sind viel mehr als drei Prozent, soll und muss man nicht nur bitten, sondern in Busse und Bahnen umdirigieren. Schon daheim in Heilbronn oder Tübingen, spätestens am Rand der Umweltzone. Ohne Gedränge in den Bahnen, ohne Zusatzfahrten oder längere Züge wird es nicht gehen. Einzeltickets sollten zeitweise zum supergünstigen Preis erhältlich oder Fahrten gratis sein – auch wenn es Land und Stadt Geld kostet.

Der ÖPNV muss besser werden

Zum Nulltarif wird man die gute Luft nicht bekommen. Auch nicht den öffentlichen Nahverkehr, den man braucht. Das System muss leistungsfähiger und kundenfreundlicher werden. Land und Stadt müssen die Bremsen beim Ausbau lockern. Damit muss auch Stuttgarts OB anders umgehen. Es ist an der Zeit, dass Fritz Kuhn nicht nur von 20 Prozent weniger Autos im Talkessel redet, sondern klar vernehmlich von neuen Instrumenten der Finanzierung von Bussen und Bahnen. Über eine Nahverkehrsabgabe zum Beispiel. Oder dass er laut die gesetzlichen Voraussetzungen für eine ständige Citymaut-Regelung fordert. Sie könnte eine flexible Stellschraube für den Verkehrsstrom sein – aber Kuhn kuscht. Weil die Grünen als Verbotspartei vorgeführt werden könnten? CDU und FDP haben doch selbst wenig Lösungsvorschläge.

Schon merkwürdig, dass diese Region bei neuen Technologien und Problemlösungen ganz vorn sein will. Nur nicht bei Systemen, die in die Stadt hineinfahrende Autos registrieren und Mautgebühren, in welcher Höhe auch immer, berechnen. Die Autostadt Stuttgart hat wohl doch ein psychologisches Problem damit.

j.schunder@stn.zgs.de