VW, Daimler, Bosch – es fällt gar nicht so leicht, über die vielfältigen Kontakte der deutschen Autoindustrie zur Justiz den Überblick zu behalten Foto: dpa

Die Branche verhält sich beim Diesel passiv, doch ihr läuft die Zeit davon, kommentiert unser Autor Klaus Köster.

Stuttgart - Es fällt gar nicht so leicht, über die vielfältigen Kontakte der deutschen Autoindustrie zur Justiz den Überblick zu behalten: Kaum hat VW wegen des Dieselskandals in den USA eine gigantische Milliardenstrafe gezahlt, ermittelten die Staatsanwälte in Braunschweig gegen Topmanager. Daimler bekam kürzlich Besuch von 230 Ermittlern, und weil dabei nicht alle Unterlagen herausgerückt wurden, setzt es nun auch noch ein Verfahren wegen versuchter Strafvereitelung. Bosch zahlte in den USA 300 Millionen Euro zur Beilegung der Diesel-Streitigkeiten und ist in Deutschland Gegenstand von Ermittlungen wegen Betrugs. Gegen Audi wiederum ermittelt die Staatsanwaltschaft München. Und Porsche gerät nun nach einem auffälligen Abgastest ins Visier des Kraftfahrtbundesamts.

Die Auflistung ist nicht vollständig und zeigt, wie stark der VW-Skandal längst auf die Autobranche übergegriffen hat. Auch wenn Ermittlungen kein Schuldspruch sind – dass Dieselautos fast aller deutschen Hersteller den Menschen Stickoxide in überhöhter Dosierung verabreichen, steht außer Frage. 507 Milligramm Stickoxide pro Kilometer blasen nach Messungen des Umweltbundesamts selbst Dieselautos in die Atemluft, die der aktuellen Schadstoffnorm Euro 6 entsprechen. Erlaubt sind dagegen 80 Milligramm – allerdings auf dem Prüfstand, wo die Autos die Werte auch einhalten. Deshalb argumentieren Hersteller, sie hätten mit der Optimierung ihrer Fahrzeuge für die Tests genau das getan, was der Gesetzgeber von ihnen verlangt.

Der umweltbewusste Verbraucher wird an der Nase herumgeführt.

Diese Argumentation ist freilich so blauäugig, dass man sie den Topmanagern von Weltkonzernen unmöglich abnehmen kann. Sie wissen natürlich, dass viele Dieselautos auch von Menschen gekauft wurden, die damit etwas für die Umwelt tun wollten. VW hat in den USA offensiv für seinen „Clean Diesel“ geworben, und auch Daimler preist seine „saubere Dieseltechnologie“ namens BlueTEC an. Doch kein Mensch gibt viel Geld aus, um die Prüfstände von Tüv und Dekra sauber zu halten. Dass der umweltbewusste Verbraucher an der Nase herumgeführt wurde, ist offenkundig.

Dabei betont die Branche völlig zu Recht die große Bedeutung des sparsamen Diesels für das Weltklima – die nach dem Ausstieg der USA aus dem Weltklimavertrag eher noch wachsen wird. Immens ist auch dessen Rolle als Beschäftigungsgarant gerade in der Region Stuttgart. Umso unverständlicher ist es, mit welcher Zähigkeit die Hersteller die Ermittlungen und damit auch die Debatte in die Länge ziehen. Seit vielen Monaten behauptet etwa der VW-Konzern, seine Software verstoße zwar in den USA gegen die Gesetze, nicht aber in Europa, und verweigert den Kunden selbst eine symbolische Gleichbehandlung. Auch Mercedes legte sich früh fest, nicht manipuliert zu haben, warnt aber seine Aktionäre inzwischen eindringlich vor gravierenden Folgen für Gewinne, Ruf und Finanzen. Auch bei der Frage, ob man alte Diesel nachbessert, um den Kunden drohende Fahrverbote zu ersparen, zeigte sich die Branche sperrig. Will man so Vertrauen zurückgewinnen?

Bewältigung der Dieselkrise kostet eine Menge Geld und Arbeitskraft

Die Bewältigung der Dieselkrise kostet eine Menge Geld und Arbeitskraft. Doch die vielen Winkelzüge erwecken den fatalen Eindruck, die Branche stehe nur widerwillig zu ihrer Verantwortung für das Geschehene und die Beseitigung der Folgen. Gewiss, Daimler wird über die nächsten Jahre einen Dieselmotor auf den Markt bringen, mit dem es den Skandal wohl nie gegeben hätte. Umso weniger kann es sich die Branche leisten, bis dahin diese wichtige Technologie im juristischen Kleinkrieg vollends aufzureiben. Die Monat für Monat sinkenden Diesel-Anteile an den Zulassungen sollten jedem zeigen, was die Stunde geschlagen hat.

klaus.koester@stuttgarter-nachrichten.de