Mit diesem Lkw ist ein 31-Jahre alter Frankotunesier am Donnerstagabend in Nizza in eine Menschenmenge gerast. Mehr als 80 Menschen sind gestorben – mehr als 202 Verletzte zu beklagen Foto: dpa

Die Bluttat von Nizza zeigt, wie der Terrorismus sein Wesen verändert, kommentiert unser Chef-Redakteur Christoph Reisinger.

Stuttgart - Nein, das sind keine wohlfeilen Sprüche. Es ist die Wahrheit, wenn der Bundespräsident, die Kanzlerin und so viele andere Staats- und Regierungschefs sinngemäß sagen: Getroffen hat es wieder Frankreich, aber gemeint sind wir alle – und entsprechend müssen wir reagieren.

Dafür spielt nicht der grauenhafte Aspekt die entscheidende Rolle, dass der Massenmörder von Nizza Menschen aus mehreren Ländern getötet hat. Auch nicht die Frage, wer solche monströsen Verbrechen im Nachgang für sich reklamiert oder ihre schrecklichen Folgen feiert.

Der Terrorismus verändert sein Wesen

Entscheidend für die quasi globale Betroffenheit sind zwei Konstanten in den kaum mehr zählbaren Anschlägen und Amokläufen, die seit den Angriffen der Bin-Laden-Bande auf New York und Washington 2001 verübt wurden: Immer handeln die Täter aus Hass. Stets zielen sie auf größtmögliche Vernichtung und maximalen Terror. Passieren kann das quasi immer und überall. Dann gibt es noch ein paar zumindest häufige Gemeinsamkeiten: Die Kosten der Angreifer sind gering, die Mittel, die sich einsetzen, leicht zu beschaffen.

Unübersehbar verändert der Terrorismus sein Wesen. Als Kennzeichen der aktuellen Epoche. Als eine besonders perfide Kampfmethode, die immer mehr zum Einsatz kommt, und das quasi weltweit. Die zugleich aber immer weniger als Wesensmerkmal einer bestimmten Politik, Partei, Bewegung oder Regierung in Erscheinung tritt. Weil politische und zutiefst persönliche Beweggründe immer mehr verschwimmen. Befeuert dadurch, dass Aufrufe und praktische Anleitungen zum Terrorisieren per Internet weltweit massenhaft Verbreitung, Zustimmung, Nachahmung finden. Es wird damit immer schwerer, sich zu schützen. Zumal für freie Nationen mit weit offenen Grenzen.

Sich dem Terrorismus nicht beugen

Wie sinnvoll es ist, nach einem Anschlag wie jenem in Nizza Reservisten an die Waffen zu rufen, sei dahingestellt. Gegen wen sollen sie wirken, wenn der Gegner bis zum Moment der Tat völlig unsichtbar bleibt? Ursachenforschung, lange akribisch betrieben, schafft offensichtlich keinerlei Berechenbarkeit. Sie taugt damit immer weniger für die Gefahrenabwehr. In welchen Nuancen sich der Hass, die grenzenlose Grausamkeit und der Organisationsgrad des Schlächters von Nizza unterschieden haben vom Hass, der Grausamkeit und dem Organisationsgrad anderer Terroristen wie des norwegischen Rassisten Anders Breivik oder irgendeines Schergen des sogenannten Islamischen Staats – das verliert rasant an Bedeutung.

Nach einem Verbrechen, wie es die Flaneure auf Nizzas Promenade des Anglais ereilt hat, nach so viel Leid fällt dieser Satz besonders schwer, aber er behält seine Gültigkeit: Es bleibt nur der Weg, sich dem Terrorismus nicht zu beugen.

Denn darin liegt die Hoffnung: Zwar hat es bisher offenkundig wenig Eindruck auf Nachahmer gemacht, dass die meisten Terroristen in Ausübung ihrer Verbrechen selbst ums Leben kamen, die Hintermännner – sofern es welche gab – früher oder später meistens auch. Aber zu sehen, dass sie bei ihrem sinnlosen Morden einen vollkommen sinnlosen Tod gestorben sind – das wird irgendwann Eindruck machen.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de