Die Petition gegen den neuen Bildungsplan in Baden-Württemberg ist nur eine von vielen, für im Internet geworben wird. Foto: dpa

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine neue Petition ins Internet gestellt wird. Meinungsmacher im Netz: Mehr Demokratie oder Klick-Tribunal, fragt der stellvertretende Chefredakteur Wolfgang Molitor.

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine neue Petition ins Internet gestellt wird. Meinungsmacher im Netz: Mehr Demokratie oder Klick-Tribunal, fragt der stellvertretende Chefredakteur Wolfgang Molitor.

Stuttgart - Eine Petition, so verrät das Lexikon, ist ein Schreiben an eine zuständige Stelle, zum Beispiel an eine Behörde oder Volksvertretung. Das Wort stammt vom lateinischen petitio ab – was so viel heißt wie Bittschrift, Gesuch oder Eingabe – und ist aus dem Internet-Zeitalter nicht mehr wegzudenken. Nervtötend, aufdringlich, intolerant, selbstgerecht. Basisdemokratisch, aufbegehrend, Stimmen bündelnd, Stimmung machend. Alles zusammen. Kreuz und quer. Ex und hopp. Ist ein Tag ohne Petition ein verlorener Tag?

Wie wär’s mit der Internet-Petition für die „Pille danach“? Darin fordern Feministinnen den Bundesgesundheitsminister auf, die Rezeptpflicht aufzuheben. Mehr als 12.500 Unterstützer klicken in den ersten 24 Stunden ihren Appell ins Netz. 1500 unterstützen die Online-Petition für Harry Wörz, die Polizei und Staatsanwaltschaft auffordert, die Suche nach dem wahren Täter fortzusetzen. 40.000 Menschen schließen sich einer Unterschriftenaktion für die englische Skeleton-Olympiasiegerin Elizabeth Yarnold an, damit in ihrer Heimatstadt West Kingsdown für sie ein roter Briefkasten mit goldener Farbe angestrichen wird. Darf’s noch ein bisschen mehr sein? Gern! 130.000 Unterschriften stehen unter einer Petition, die eine Lösung für die Haftpflichtproblematik von Hebammen sucht. Rund 58.000 Mountainbiker sind gegen die Zweit-Meter-Regel, die ihnen das waghalsige Radeln auf baden-württembergischen Waldwegen nur auf rund 100 Kilometern gestattet – und auf den anderen 87 000 Kilometern verbietet.

Immer noch nicht genug? Bitte sehr! Mit Hilfe einer Online-Petition fanden sich mehr als 192.000 Gegner der grün-roten Bildungsreform in Baden-Württemberg (Stichwort: sexuelle Vielfalt als Unterrichtsthema) zusammen. Zwei Gegenpositionen freuten sich über noch mehr Zulauf. In Nordrhein-Westfalen läuft eine Petition mit mehr als 1000 Proteststimmen gegen die nicht artgerechte Haltung von Delfinen in Zoo-Becken. Rund 58 000 Menschen forderten nach der Tötung der Giraffe Marius in Kopenhagen die Schließung des Zoos. Mehr als 230.000 Unterzeichner wollten keine weitere artgerechte Haltung von Markus Lanz auf der „Wetten dass . . .?“-Bühne.

Was aber verbirgt sich hinter Online-Petitionen? Meinungsterror und Shitstorm? Oder demokratische Beteiligung und legitime Einmischung? Jeden Monat werden hunderte Petitionen auf den verschiedensten Online-Plattformen ins Leben gerufen. Bequemer geht es nicht, schnell Unterschriften zu sammeln. In den Parlamenten haben Petitionen seit langem ihren festen Platz. Beim Petitionsausschuss des Bundestages sind 1,5 Millionen Nutzer registriert, nahezu 40 Prozent der Petitionen werden mittlerweile online eingereicht. Erreicht ein Anliegen mindestens 50.000 Unterstützer, wird sich der Ausschuss aller Wahrscheinlichkeit damit befassen. Nicht selten ist es aber auch nur ein Geschäft. Die Online-Plattform change.org mit weltweit 180 Mitarbeitern stellt in Deutschland monatlich rund 390 neue Petitionen ins Netz, vier Mal soviel wie ein Jahr zuvor. Weltweit sind es im Monat 25.000. Inflationär.

Eine Machtverschiebung hin zu Bürgern, Zuschauern und Verbrauchern: So sehen die Petitionsfreunde die Entwicklung. Nischen für Querschießer, Nörgler und anonym Aggressive: So fürchten die, denen manche Petition unheimlich ist. Trotzdem: Immer öfter zeigen Petitionen, dass sie schnell in die politische Willensbildung eingreifen können. Als Lehrerverbände, Eltern und Schulleiter in wenigen Tagen 10.000 Unterschriften zusammenbrachten, um in Bayern gegen den Abbau von 800 Lehrerstellen zu protestieren, blies die Staatsregierung zur Kehrtwende. Und klickte ihren Plan weg.

w.molitor@stn.zgs.de