Der billige Euro nützt Deutschlands Exporten Foto: dpa

Die Niedrigzinspolitik ist eine Folge der Krise – und sie nützt in der gegenwärtigen Lage der deutschen Wirtschaft. Doch wie lange kann es gutgehen, dass Deutschland aus der Krise anderer Euro-Staaten den Nutzen zieht?

Stuttgart - Manch einer reibt sich verwundert die Augen: Versucht Europa derzeit nicht verzweifelt, ganze Staaten vor dem Zusammenbruch zu retten? Biegt die Notenbank EZB die Regeln der Geldpolitik nicht bis aufs Äußerste, um immer neues Geld in die Märkte zu pumpen und das Bankensystem flüssig zu halten? In dieser Situation wirkt die Nachricht von der extrem niedrigen Arbeitslosigkeit in Deutschland wie aus der Zeit gefallen. 2,764 Millionen Menschen waren zum Jahreswechsel ohne Job – das sind für einen Dezember so wenige wie seit 24 Jahren nicht mehr. All das klingt aus deutscher Sicht so positiv, dass man es kaum glauben möchte.

Deutschland bekommt durch die weltwirtschaftliche Lage gerade ein Konjunkturprogramm der Extraklasse. Weil die EZB Euro auf Teufel komm raus druckt und große EU-Länder wie Italien und Frankreich tief in der Krise stecken, sinkt der Wert des Euro auf Tiefststände, wie man sie lange nicht mehr gesehen hatte. Weil zugleich – etwa wegen der Fracking-Technologie in den USA – das weltweite Öl- und Gasangebot steigt und auf eine flaue Nachfrage trifft, ist zudem der Ölpreis mittlerweile bei der Hälfte des Stands vom Sommer angelangt. Beides zusammen kurbelt die Wirtschaft kräftig an: Der schwache Euro hilft der deutschen Wirtschaft auf den Exportmärkten, denn er führt dazu, dass deutsche Firmen etwa ihre Dollar-Einnahmen gegen höhere Euro-Beträge eintauschen können. Der niedrige Ölpreis entlastet nicht nur Unternehmen, sondern auch Verbraucher, deren Kaufkraft durch die niedrigeren Energiekosten gestärkt wird. All das klingt beinahe wie ein deutsches Wintermärchen.

Doch kann das dauerhaft so bleiben? Fragezeichen sind durchaus angebracht, denn die gegenwärtige Wirtschaftslage hat sehr viel damit zu tun, dass die Euro-Schwergewichte Italien und Frankreich nach wie vor lahmen und nicht in der Lage sind, ihre Schuldenberge abzutragen. Die Lage im wirtschaftlich eher unbedeutenden Griechenland zeigt, wie viel Kapital politische Kräfte in Krisenstaaten aus einer solchen Lage schlagen können. Wer als Politiker den Bürgern verspricht, die Steuergelder lieber zu verteilen, als sie für den Abbau der überhöhten Staatsverschuldung einzusetzen, darf sich großen Zuspruchs sicher sein; dies ist einer der Gründe dafür, dass sich in diesen Staaten keine politische Kraft für entschlossene Reformen einsetzt, die ihre wirtschaftliche Lage verbessern könnten.

Solange diese Länder aber lahmen, bleibt Deutschland so oder so in der Haftung: Für die Rettungsbillionen der Notenbank muss das Land in einem Ausmaß geradestehen wie kein anderes. Würde die Rettung komplett eingestellt, wäre Deutschland allerdings erst recht in der Haftung: Dann würde sich in diesen wichtigen Ländern die politische und wirtschaftliche Lage verschärfen. Die Deutschen sind somit in der unkomfortablen Lage, für innenpolitische Entscheidungen in Ländern zu haften, auf die sie gar keinen Einfluss haben. Die EU ist durch Mitgliedsländer erpressbar geworden; und das betrifft auch ihren wichtigsten Financier.

Einerseits zieht Deutschland den größten Nutzen aus der Lage, andererseits hat das Land einen besonders hohen Einsatz bei der Euro-Rettung – das sind die beiden Seiten der gleichen Medaille. Sie zeigen, wie groß der Graben ist, der die EU-Staaten voneinander trennt. Derzeit ist Deutschland auf der Gewinnerseite – doch eine Lage, in der ein Gewinner mit vielen Verlierern in einem Boot sitzt, wird auf Dauer keinen Bestand haben können.