Bernie Ecclestone muss 100 Millionen Dollar zahlen – dafür ist er ein freier Mann. Foto: dpa

Der Fall Ecclestone: Wenn Wahrheit und Gerechtigkeit zum Deal werden – Ein Kommentar von Politik-Ressortleiter Wolfgang Molitor.

100 Millionen Dollar, knapp 75 Millionen Euro: Wem verschlägt es da nicht die Sprache? 100 Millionen Dollar, um vor einem deutschen Gericht ungeschoren davonzukommen, ausgehandelt in geheimen Absprachen und der Öffentlichkeit wie ein juristisches Freilos lässig vor die Füße geworfen. Bernie Ecclestone hat seine Geldbörse gezückt und nicht einmal sehr tief hineingreifen müssen, um ein Sümmchen hervorzuzaubern, das dafür reicht, den Münchner Gerichtssaal offiziell als Unschuldiger zu verlassen. Nicht vorbestraft. Revision nicht möglich. Bestechung und Anstiftung zur Untreue in einem besonders schweren Fall? Strafandrohung bis zu zehn Jahren? War da was?

Selten war Justitia so blind. Die Reichen kaufen sich frei, die Armen kommen in den Knast? Knete statt Strafe? Wie schon Anfang des 16. Jahrhunderts, als Johann Tetzels Ablasshandel marktschreierisch nach dem Motto florierte: „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!“ Heute nennt man so etwas Deal – ein Feilschen zwischen Staatsanwaltschaft, der Verteidigung, dem Angeklagten und dem Gericht. Das Recht wird zum Geschäftsobjekt. Wer zahlen kann, kommt davon. Wer nicht, geht unter.

Kein Urteil. Stattdessen Kapitulation. Das Münchner Gericht hat sich vor einer Rechtsprechung gedrückt, sich erst gar nicht auf die penible, wenngleich zeitraubende Überprüfung der Vorwürfe eingelassen. So endet das Verfahren durch bloßen Gerichtsbeschluss. Discount-Gerechtigkeit. Ecclestone, einer der reichsten Männer Englands, wird den Verlust von 100 Millionen Dollar verkraften können. Wie auch die schätzungsweise 25 Millionen Dollar, die er der Bayerischen Landesbank als Geschädigter überweisen will. Der Gentleman zahlt und herrscht – schließlich kann er seine Rennzirkus-Peitsche nun gewinnbringend weiter weltweit knallen lassen. Dank dem geschäftstüchtigen Münchner Landgericht (99 Millionen Euro fließen in die bayerische Landeskasse) mit einer weißen Weste über schwarzen Konten.

Natürlich kann man das Verfahrensende auch anders sehen. Nach der ersten und verständlichen Empörung. Gut möglich, dass sich die Staatsanwaltschaft bei der Anklage schlichtweg verhoben hat. So was soll vorkommen, man erinnert sich noch an den Prozess gegen den Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff, der mit einem veritablen Freispruch endete. Fest steht: In 20 Verhandlungstagen konnte der Schmiergeld-Vorwurf gegen den 83-Jährigen nicht klar belegt werden. Zeugen äußerten ihre Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen Gerhard Gribkowsky, der zugegeben hatte, als früherer BayernLB-Vorstand von Ecclestone 44 Millionen Dollar Bestechungsgeld beim Besitzerwechsel der Rennserie erhalten zu haben – und deshalb zu achteinhalb Jahren Haft wegen Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung verurteilt worden war. Mehr noch: Die Richter spielten tatsächlich mit dem Gedanken, für Ecclestone sei es gar nicht erkennbar gewesen, dass es sich bei der BayernLB um eine staatliche Bank handelte und Gribkowsky also deshalb ein Amtsträger war, dessen Bestechung besonders hart bestraft wird. Die Beweislage war – wenngleich noch in frühem Stadium – also schwierig. Die Staatsanwalt hatte zudem ihr bisschen Pulver früh verschossen. Nein, Bernie E. hatte keine schlechten Karten.

Doch das Gericht zählte die Punkte gar nicht nach. Hantierte stattdessen mit einem Gesetz, das es erlaubt, sich „in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten über den weiteren Fortgang und das Ergebnis zu verständigen“. Drehte sich den Fall folglich so hin, als könne es getrost larmoyant verfahren. Dealer unter sich.

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