Der Dax erreichte erneut einen Rekordstand. Doch wie lange kann das gut gehen? Foto: AP

Die Kurse jagen nicht auf neue Rekordhöhen, sie steigen auch in rekordverdächtiger Geschwindigkeit. Was davon ist durch die Not der zinsgeplagten Anleger getrieben, und wie viel Substanz steckt dahinter? Unser Wirtschaftschef Klaus Köster äußert sich zum Stand der Dinge.

Stuttgart - Ja, hört diese Kursrally denn gar nie auf? Jahrelang war die Marke von 8000 Punkten eine Art Schallmauer, die der Deutsche Aktienindex (Dax) allenfalls berührte, die er aber nie wirklich durchbrach. Doch in den vergangenen zwei Jahren hat sich das Bild drastisch gewandelt. Anfang 2013 marschierte der Index locker durch die zuvor schier unüberwindbare Mauer von 8000. Im Herbst passierte er die Marke von 9000; im Sommer vergangenen Jahres waren die 10 000 fällig, vor wenigen Wochen die 11 000; und nun, am 16. März 2015, nimmt er ohne Anlauf die Hürde von 12 000 Punkten. Ist das noch normal?

Normal kann das schon deshalb nicht sein, weil die Zeiten nicht normal sind – und auch nicht das Umfeld, in dem sich die Börsen bewegen. Da es wegen der historischen Niedrigstzinsen praktisch unmöglich ist, auf angelegtes Geld eine Rendite zu erwirtschaften, entsteht eine enorme Nachfrage nach Realwerten wie Immobilien und eben auch Aktien, die ja nichts anderes sind als Eigentumsanteile an Unternehmen.

Es ist also sehr wahrscheinlich, dass die Extremrally an den Börsen auch deshalb entstanden ist, weil Geld mangels Alternativen im großen Stil in diese Anlageform strömt. Dafür spricht auch der Umstand, dass sich am anderen großen Markt für Realwerte, bei den Immobilien, eine ähnliche Entwicklung mit deutlich steigenden Preisen abspielt.

Gemessen an den Gewinnen, sind die Aktienkurse nicht auf Rekordniveau

Doch wie lange kann dies gutgehen? Offensichtlich sehr lange, denn ansonsten wäre die Blase längst geplatzt – so wie im Jahr 2000 die Internet-Blase, bei der weltweit maßlos überbewertete Aktien neuer Technologiefirmen ins Bodenlose stürzten. Dieses Mal dauert der Höhenflug, unterbrochen durch wenige Rücksetzer, bereits seit sechs Jahren an und hat zu einer Verdreifachung des Dax geführt. Das kann unmöglich allein durch die realen Perspektiven bedingt sein, die ja durch Ereignisse wie die Ukraine-Krise, die Schuldenkrise in der Euro-Zone und die durch Terror und Atomstreitigkeiten instabile Lage im Nahen Osten eher eingetrübt werden.

Andererseits aber gibt es auch Gründe dafür, dass dieser Absturz eben noch nicht eingetreten ist. Denn Aktien waren schon teurer – wenn man die Kurse mit den Gewinnen vergleicht. Anfang 2000 kosteten die Dax-Aktien über das 30-Fache der Jahresgewinne der beteiligten Unternehmen. Heute ist diese Bewertung mit 14 noch nicht einmal halb so hoch. Die Dax-Unternehmen sind heute längst Weltkonzerne, die in aller Welt produzieren und verkaufen. Gleichzeitig haben deutschen Firmen früh ihre Hausaufgaben gemacht, haben mit Gewerkschaften und Betriebsräten Vereinbarungen für mehr Flexibilität getroffen und sind nicht zuletzt gestärkt aus der Krise von 2008 hervorgegangen. Das lässt sich heute auch an den Zahlen ablesen.

Ein Absturz wie im Jahr 2000 ist unwahrscheinlich

Angesichts der Substanz, die dieses Mal hinter dem raketenhaften Ansteigen der Kurse steht, ist ein Absturz wie 2000, als die Aktien innerhalb von drei Jahren rund 75 Prozent ihres Werts verloren, heute weniger wahrscheinlich. Doch auch wenn die gegenwärtigen Kurse auf einem solideren Fundament stehen, hat die Art und Weise, wie sie nach oben gejagt werden, eher mit dem Überfluss an Euro zu tun als mit der Entwicklung der Wirtschaft.

Dafür spricht auch der Umstand, dass die Kurse den Gewinnen in den vergangenen drei Jahren völlig davongelaufen sind. Somit deutet vieles darauf hin, dass die EZB beim Versuch, den Euro zu stabilisieren, die Entwicklung der Aktienmärkte aufs Spiel setzt. Ein Grund mehr, dem Billionen-Poker der Währungshüter zu misstrauen. Schön immerhin, dass die Fallhöhe schon mal höher war als heute.