Stärken solche Bilder das Immunsystem? Foto: dpa/Maurizio Gambarini

Das Auge isst mit – doch aktuelle Forschungsergebnisse sprechen dafür, dass optische Reize auch für das Immunsystem eine Rolle spielen können. Das eröffnet dem Gesundheitswesen ganz neue Möglichkeiten.

Kulturpessimisten führen die Bildungsmisere auch darauf zurück, dass viele Kinder und Jugendliche immer weniger lesen und stattdessen lieber bei Tiktok und Youtube Videos gucken. Doch dieses Urteil ist dann doch etwas zu pauschal. Es kommt auch darauf an, um was es in diesen Filmchen geht. Aus manchen kann man nämlich auch eine Menge lernen – beispielsweise über Mathe, Naturwissenschaften oder Sprachen. Das gut gemachte Youtube-Erklärvideo ist sozusagen das Telekolleg der Generation Internet.

Doch nicht nur Menschen können aus bewegten Bildern lernen, sondern offenbar auch unser Immunsystem, wie Forschende der Universitäten Hamburg und Tübingen herausgefunden und jüngst in einem Fachartikel publiziert haben. Sie zeigten Probanden Videos, auf denen Personen mit coronatypischen Atemwegssymptomen wie starkem Husten oder Niesen zu sehen waren. Anschließend bestimmten die Wissenschaftler im Speichel die Konzentration eines Antikörpers, der in Fachkreisen als sekretorisches Immunglobulin A bekannt ist und von dem es auch eine coronaspezifische Variante gibt.

Mehr Antikörper durch Corona-Videos

Dabei zeigt sich, dass Probanden in der Video-Gruppe rund 25 Prozent mehr Antikörper hatten als die Mitglieder der Kontrollgruppe, denen man keine Coronavideos gezeigt hatte. Wenig später fiel die Konzentration aber wieder auf den Ausgangswert zurück. Das besagte Immunglobulin kann die Anheftung von Viren an Schleimhautzellen verhindern und so deren Eindringen in den Körper von vorneherein unterbinden. Der Anstieg der Konzentration könne „Teil einer proaktiven Immunreaktion“ sein, schreiben die Autoren. Ob die zusätzlichen Antikörper tatsächlich zu einem besseren Schutz vor Infektionen führen, wurde in der Studie allerdings nicht untersucht.

Trotzdem stimmen die Ergebnisse hoffnungsvoll. Kann man durch den Konsum geeigneten Videomaterials ohne den lästigen Piks in den Oberarm seine Immunität gegen Infektionskrankheiten verbessern? Das würde dem Gesundheitswesen ganz neue Perspektiven eröffnen. Denkbar wäre zum Beispiel, dass die Drehbücher von Arztserien in der erkältungs- und coronaträchtigen kalten Jahreszeit entsprechend angepasst werden. Bei „In aller Freundschaft“ liefe dann anstelle der x-ten Episode über die erfolgreiche Herzoperation bei einem jungen Familienvater ein Influenza-Special, in dem alle Ungeimpften durch hohes Fieber ans Bett gefesselt sind.

Manche Fernsehproduktionen leisten bereits jetzt einen wertvollen Beitrag zur Volksgesundheit – ganz ohne Immunstimulation. So gibt es etliche Berichte über die schlaffördernde Wirkung der beschaulichen Krimiserie „Inspektor Barnaby“. Je nach Geschmack und Naturell der Zuschauer können auch andere Sendungen vergleichbare Effekte haben. Manche schwören etwa auf Reden des Bundeskanzlers – vorausgesetzt, es steht nicht gerade eine Zeitenwende an.

Steifer Nacken als Nebenwirkung

Bis jetzt hat niemand ausgerechnet, wie viel geringer die Ausgaben für Schlafmittel durch solche Gähn-Sendungen ausfallen. Als Nebenwirkung ist in Einzelfällen lediglich ein steifer Nacken zu beobachten, der aber nichts mit den Sendungen selbst zu tun hat, sondern mit der ungünstigen Kopfhaltung auf manchen Sofas. Von Kochsendungen ist dagegen eher abzuraten. Bereits der Anblick der dort servierten Leckereien lässt vielen das Wasser im Mund zusammenlaufen wie seinerzeit Pawlows Hund.

Das Auge isst bekanntlich mit. Manche Leute behaupten sogar, dass sie bereits ein Kilo zunehmen, wenn sie ein Stückchen Sahnetorte auch nur anschauen. Es gibt jedoch keine Belege dafür, dass die Betroffenen wirklich nur geguckt und am Ende nicht doch genascht haben. Womöglich lässt sich der Konsum solcher Kalorienbomben ebenfalls per Video-Immunisierung begrenzen. Wer oft genug Filmclips von Leuten sieht, denen es nach fünf Stück Sahnetorte granatenmäßig schlecht ist, hält sich beim nächsten Cafébesuch vielleicht etwas zurück.