Bei Martina gibt es weder Aperol Sprizz noch Hugo – hier wird Bier und Schnaps ausgeschenkt. Foto: Ina Schäfer

Die klassische Eckkneipe stirbt aus. Wir besuchen sie. Heute die Funzel in Stuttgart-Süd – die vielleicht kleinste Kneipe Deutschlands.

S-Süd - Stuttgart - Die Tür der kleinen Kneipe geht auf, ein Mann kommt herein. Er stellt wortlos ein Glas mit VfB-Logo auf den Tresen. Martina (56), Wirtin der Funzel in Heslach, stellt es zu anderen Fanartikel an der Bar. Der Mann, dem Martina kurz zunickt, verlässt wortlos die Kneipe.

Fußball wird an dem Abend auf dem Live-Ticker des Smartphones verfolgt, auf dem Bildschirm oben in der Ecke läuft irgendein klassischer ZDF-Krimi. Doch das war in der Funzel nicht immer so. VfB-Fans haben sich gerne dort getroffen. Martina hat aber dasselbe Problem wie viele Wirte: „Sky ist mir zu teuer geworden.“

Zu Beginn werden die drei Gäste skeptisch begutachtet – von der Wirtin und den Stammgästen, die in der Mini-Kneipe am Tresen sitzen. Man fühlt sich genötigt, die eigene Anwesenheit zu entschuldigen: „Draußen regnet es in Strömen.“ Das nimmt Martina wortlos hin. Die Bierbestellung kommentiert sie knapp: „Hofbräu? Hammer net. Wir sind eine Warsteiner-Kneipe.“ Dabei rechtfertigt die Zimmertemperatur in der Funzel durchaus die Einkehr: Bei dem Schmuddelwetter hat Martina ungefähr auf Thermen-Level hochgeheizt. Da läuft das Bier. Und wie so oft im Leben überwindet der Alkohol so manche Barriere. Später am Abend.

Die Funzel sei die kleinste Kneipe Deutschlands. 17 Quadratmeter ohne Tresen. Das betont Martina mehrmals. Nach mehreren Schnapsrunden taut die Stimmung. Jägermeister für die Herren, Erdbeer-Limes ab der zweiten Runde für die Damen. Für die Wirtin gibt man einen Schnaps mit aus. Ungefähr nach der fünften Runde läutet man selig-angetrunken-naiv an der Kuhglocke über einem. Mit der Lokalrunde gelingt die Integration letztlich vollends. Die Stammgäste mögen die Fremden jetzt. Susanne, die nur Apfelschorle trinkt, Herbert, René und zwei Herren, deren Namen irgendwie untergingen, erzählen Geschichten aus der Funzel. Am liebsten mögen sie, wenn CSD ist und der Zug entlang der Böblinger Straße an der Funzel vorbeizieht und viele ausgelassene Gäste hereinspült.

Heslach ist ein Eckkneipen-Eldorado

Unvergessen auch: Ein Ire, der behauptete, er würde den besten Irish Pub in der Stadt kennen. Zu später Stunde ist es ihm gelungen, die halbe Kneipe zu mobilisieren, um den angeblich sagenumwobenen Platz aufzusuchen. Nach einem Spaziergang um den Block nahm die Geschichte ein trauriges Ende: Der Ire konnte sich weder an den Namen, noch an den Ort des Pubs erinnern – enttäuscht blieb er auf dem Bordstein sitzen, während der Rest der Gäste in die Funzel zurückkehrte.

Den nächsten Jägi gibt Rainer mit dem Borussia-Hemd aus. Martina serviert im Sierra-Tequila-Glas. Unzählige verschiedene Schnapsgläser hat sie auf dem Tresen aufgereiht. Auf ihre Vielfalt an Schnapsgläsern ist sie – nicht zu Unrecht – stolz.

Häufig würden sich, gerade am Wochenende, „Party-Touristen“ in die Funzel verirren, erzählt die Truppe. Meistens sind es größere Männergruppen, die gerade auf Kneipentour unterwegs sind und mal schauen wollen, wie es so ist, in so einer Kneipe, die nicht hipstermäßig eingerichtet ist und in der es keinen Aperol Sprizz, keine 35 Ginsorten und auch keine Hugo-Sommerschorle mit frischer Minze gibt. Bei Martina gibt es Bier und Schnaps.

Heslach ist ein Eckkneipen-Eldorado. Und gleich am Anfang befindet sich die Funzel. Deshalb ist die Ecke bei den „Touristen“ so beliebt. Vielleicht erklärt das die anfängliche Skepsis der Stammgäste und der Wirtin gegenüber den Fremden.

Die Kneipe ist für ihre Gäste auch ein zweites Wohnzimmer

Die Funzel allein auf einen Entstehungsort von Suff-Geschichten zu reduzieren, von denen es etliche gibt und an denen vermutlich selbst ein Charles Buckowski helle Freude gehabt hätte, würde der Kneipe nicht gerecht. Die Bedeutung des verlängerten Wohnzimmers ist für die Gäste enorm: Das soziale Leben dort gleicht dem einer Familie. Die Gäste kennen sich nicht nur gut, sondern auch die Probleme der anderen. Man tauscht sich jeden Abend am Tresen aus, hilft sich, wenn das Leben schwer ist. Rituale haben sich eingebürgert, die eben keiner Worte mehr bedürfen.