Fünf ehemalige Mitarbeiter des Klinikums müssen sich ab Dienstag wegen dubioser Geschäfte mit Libyen und Kuwait vor dem Landgericht verantworten. Danach sind deren damalige Vorgesetzte an der Reihe.
Die juristische Aufarbeitung des Stuttgarter Klinikum-Skandals wird nach eineinhalbjähriger Pause am kommenden Dienstag fortgesetzt. Die 20. Strafkammer unter Leitung des Vorsitzenden Hans-Jürgen Wenzler verhandelt unter anderem wegen des Verdachts der Untreue und Bestechung gegen fünf ehemalige Mitarbeiter des städtischen Klinikums, die mit der aus dem Ruder gelaufenen Abrechnung der Behandlung und Betreuung von 370 libyschen Kriegsversehrten und einem Beraterprojekt mit dem kuwaitischen Gesundheitsministerium zu tun hatten. Darunter ist auch Andreas Braun, der ehemalige Leiter der International Unit (IU), die 2008 als eigene Organisationseinheit für die Behandlung ausländischer Privatpatienten gegründet worden war.
Es geht nur noch um die Tatbeteiligung
Nach umfangreicher Aufarbeitung durch das Gericht im ersten Prozess geht es nicht mehr darum, ob oder wie damals getäuscht und betrogen wurde, sondern wem außer den zwei im vergangenen Jahr zu hohen Haft- und Geldstrafen verurteilten Patientenvermittlern ein Tatbeitrag nachgewiesen werden kann. Unklar war, ob auch gegen die ebenfalls angeklagte ehemalige Führungselite des größten Krankenhauses im Land verhandelt würde. Das ist nun geklärt: Die Kammer hat laut einem Gerichtssprecher auch die Anklage gegen Ex-Geschäftsführer Ralf-Michael Schmitz, die ehemaligen Ärztlichen Direktoren Claude Krier und Jürgen Graf sowie gegen Ex-Krankenhausbürgermeister Werner Wölfle zur Hauptverhandlung zugelassen. Wann das Quartett vor Gericht erscheinen muss, steht noch nicht fest. Das gelte auch für den Prozess gegen drei weitere Geschäftspartner des Klinikums. Ihre Verfahren waren 2021 wegen Corona vertagt worden.
Über den Schaden wird noch einmal verhandelt
Anders als von der Staatsanwaltschaft beantragt, hat die 20. Wirtschaftsstrafkammer den Antrag auf Beteiligung des Klinikums als „Einziehungsberechtigte“ abgelehnt, wogegen Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt worden sei. Ziel der Anklagevertretung ist es, vom Klinikum zu Unrecht kassierte Gelder in zweistelliger Millionenhöhe „einziehen“ zu können. Über den tatsächlich eingetretenen Schaden wird also doch noch einmal verhandelt.
Das Gericht geht mit der nun für alle neun Angeschuldigten zugelassenen Anklage davon aus, dass diese eine Mitverantwortung für zwei Projekte mit Vertragspartnern aus Libyen und Kuwait tragen, bei denen es unzulässige Nebenabreden gegeben haben soll. Im Zusammenhang mit der Behandlung der libyschen Kriegsversehrten sollen mit fingierten Rechnungen von einem Konto des Klinikums den Patientenvermittlern und dem Chef der Milizionäre Provisionen in jeweils sechsstelliger Höhe bezahlt worden sein.
Bargeld für die Patienten
Gleichzeitig hat das Klinikum laut Anklage aber selbst profitiert – und zwar durch überzogene Behandlungsabrechnungen. Die meisten Angeschuldigten sollen dafür die entsprechenden Rechnungen pflichtwidrig abgesegnet haben. Um die Buchhalter in der libyschen Botschaft zu täuschen, waren diese Provisionen, wie auch Kosten für die Betreuung und Versorgung der Versehrten in Millionenhöhe als Behandlungsaufwand deklariert worden. Dabei ging es hemdsärmelig zu: Ein Vermittler erhielt vom Klinikum hunderttausende Euro überwiesen, die er bar abhob und in einem Hotel einem Milizenvertreter übergab. Diese Taschen- und Essensgelder summierten sich auf mehr als vier Millionen Euro.
IU-Chef Braun soll mit Hilfe von Partnern über Rechnungen für Beratungsleistungen ans Klinikum abkassiert haben. Er ist geständig, will aber deutlich machen, dass Provisionszahlungen ebenso Standard gewesen seien wie Zuschläge für ausländische Patienten. Außerdem hätten „alle alles gewusst“, weil er sich für die Vereinbarungen bei seinen Vorgesetzten rückversichert habe. Für alle Angeschuldigten gilt die Unschuldsvermutung. Bis auf Braun wird niemandem vorgeworfen, sich persönlich bereichert zu haben. Ziel war es, dem Klinikum durch die Behandlung ausländischer Privatpatienten liquide Mittel zu verschaffen.
Welche Rolle spielten Schuster und Murawski?
Dies sei nötig gewesen, weil der damalige Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) Druck auf die Krankenhausleitung aufgebaut habe. Föll könnte eine Vorladung als Zeuge erhalten, aber auch Ex-OB Wolfgang Schuster und Ex-Krankenhausbürgermeister Klaus-Peter Murawski.
Sie hatten für das riskante Kuwait-Projekt die Vorarbeit geleistet. Es geht um einen 2014 geschlossenen Vertrag zur Optimierung der Arbeit im AI-Razi-Krankenhaus für Orthopädie. Dabei sollen die Führungskräfte und der damalige Bürgermeister Wölfle das kuwaitische Gesundheitsministerium getäuscht haben – es sei allen klar gewesen, dass das Klinikum von Anfang an vertragsbrüchig werden müsste, weil es für die Dauer von drei Jahren nicht ständig fünf Oberärzte entbehren könnte. Rund ein Viertel der erwarteten Einnahmen von rund 46 Millionen Euro sollten als Schmiergeld zurück nach Kuwait fließen, weitere 15 Prozent der Vermittler erhalten, der Schuster und Murawski das Projekt einst schmackhaft gemacht hatte.
Schweigen in Libyen und Kuwait
Wem letztlich ein Schaden entstanden ist – der libyschen Übergangsregierung, dem kuwaitischen Gesundheitsministerium oder dem Klinikum selbst – liegt im Auge des Betrachters. Die Staatsanwaltschaft meint, die Libyer hätten bis heute keine korrekte Abrechnung erhalten und könnten deshalb ihre 19 Millionen Euro Vorauszahlungen zurückverlangen. Auf jeden Fall hätten sie 8,4 Millionen Euro zuviel bezahlt. Beim Kuwait-Projekt ermittelte die Staatsanwaltschaft einen Schaden von mindestens zwölf Millionen Euro, allein 7,8 Millionen Euro davon seien Schmiergeld gewesen. Die ausländischen Amtsträger haben die Annahme mit sieben Jahren Gefängnis und Zwangsarbeit teuer bezahlt.
Kritik an der Justiz
Hart bestraft wurden auch die beiden Palästinenser mit deutschem Pass, durch deren Vermittlung die 19-Millionen-Euro-Überweisung aus Libyen erfolgte und die sich um die Betreuung der Kriegsversehrten kümmerten. Sie sind immer noch inhaftiert. Den bis zu seiner Verurteilung wegen Untreue polizeilich unauffälligen Mazen S. traf es besonders hart: Der Ersttäter saß nicht nur dreieinhalb Jahre in Stammheim in Untersuchungshaft, das Gericht lehnte es auch ab, ihn nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe freizulassen. Die sofortige Beschwerde blieb erfolglos, obwohl Rechtsanwalt Martin Stirnweiß betont hatte, auf Mazen S. warteten eine gut verdienende Ehefrau und Kinder, und einen Arbeitsplatz könne er auch vorweisen.
Anwalt spricht von Justizskandal
Stirnweiß bezeichnet den Vorgang auch als politisch motivierten Justizskandal. Entscheidender Grund für die Ablehnung sei die Kritik an der unzureichenden medizinischen Behandlung in der Justizvollzugsanstalt Stammheim gewesen. Klagen über die Ohrenschmerzen seines Mandaten, die nicht therapiert würden, und das in öffentlicher Verhandlung, warfen ein schlechtes Licht auf die Gefängnisse im Land. Mazen S. wurde im Knast fortan als Querulant betrachtet. Das Justizministerium hat sämtliche Vorwürfe zurückgewiesen, eine „adäquate medizinische Versorgung“ sei gewährleistet. Zudem hätten Untersuchungsgefangene das Privileg, sich nach eigener Wahl ärztlich behandeln zu lassen – allerdings auf eigene Kosten.