Szene aus „Klein Istanbul“. Foto: Gretafilm

Es wird getanzt, es wird gelacht, gegessen und geheiratet: Das Leben um die Moschee in Stuttgart-Feuerbach ist farbig und facettenreich. Almut Röhrl und Sabine Hackenberg entdeckten „Klein Istanbul“ in Stuttgart-Feuerbach und filmten es.

Stuttgart - Die Atmosphäre ist entspannt, die Kamera geht mit in die Familie, zeigt Arbeit, Freizeit, Religion, den Spaß, den Alltag, das Selbstverständnis von moslemischen Türken in Stuttgart. Die Ditib-Mosche in der Mauserstraße Feuerbach existiert seit 1995; von 1998 an entstand um sie herum ein türkisches Geschäfts- und Kulturviertel, das „Klein Instanbul in Stuttgart“, das Almut Röhrl und Sabine Hackenberg in ihrem Fernsehfilm vorstellen.

Werbung für Toleranz

Röhrl und Hackenberg verwirklichten mit ihrer Produktionsfirma Gretafilm bereits eine Anzahl ähnlich engagierter Projekte. In Feuerbach drehten sie mit den besten Voraussetzungen und mit idealem Zugang zu dieser Welt: Atas Kenan, einer der drei Protagonisten ihres Films, betreibt in der Mauserstraße eine Gaststätte. Dort trafen Röhrl und Hackenberg sich über Jahre hinweg, um aktuelle Projekte zu besprechen, liegt Feuerbach doch auf halber Strecke zwischen den Stuttgarter Wohnorten der beiden Filmemacherinnen. Die Mauserstraße und ihre Besucher wurden ihnen so zunehmend vertrauter - und nach und nach reifte in ihnen die Idee, einen Film zu drehen, der das Leben türkischer Moslems in Stuttgart zeigen sollte.

„Klein Istanbul – Ein Viertel und seine Menschen“ ist ein Film geworden, der für Toleranz wirbt und der kulturelle Schwellen abbauen möchte. Almut Röhrl und Sabine Hackenberg drehten zwischen Mai und Juni 2014; das Thema Terror, die neue Angst der Deutschen vor ihren türkischen Mitmenschen, fehlt im Film nicht. Atas Kenan sitzt bei seinem Friseur, er grinst. „Ich werde mir auch den Bart ein bisschen kürzen lassen“, sagt er. „Damit die Leute keine Angst bekommen.“ Und in den Diskussionen, die sich an die Premiere des Filmes anschließen, am Donnerstagabend in der Ditib-Moschee, wird immer wieder davon gesprochen: „Wir möchten nicht für Terroristen gehalten werden“, sagen die Besucher der Moschee. Die Blicke Deutscher, die auf ihnen ruhen, haben sich verändert - das spüren sie.

Religion steht nicht im Mittelpunkt

Und doch ist der Ton locker in Feuerbach, jenem Winkel der Stadt, in dem das türkische Leben blüht. Almut Röhrl und Sabine Hackenberg haben ihn unverstellt eingefangen. Die Religion wollten sie nicht in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen, die Religion spielt im Leben der Menschen, die sie zeigen, jedoch eine große Rolle: Atas Kenan ist 50 Jahre alt, Familienvater, jovial als Gastwirt, lustig beim Friseur, und er ist Muezzin – er ruft in seiner Moschee zum Gebet. Röhrl und Hackenberg durften die Vorbereitungen zur Hochzeit von Kenans Neffen filmen, die Frauen, die tags zuvor ihren Henna-Abend feiern, ein Brauchtum, bei dem die Braut sich symbolisch von ihren Freundinnen verabschiedet und auf die Ehe vorbereitet. Sie filmten Atas Kenans Familie zuhause, am Esstisch, bei den kleinen Wechselfällen familiären Lebens, bei Zank und Scherz. Türkisches Leben aus der Nähe, ein kleiner Glücksfall, bei dem viel Vertrauen im Spiel war: „Wir kennen uns schon seit 2005“, sagt Atas Kenan über die beiden Filmemacherinnen.

Nuran Demir veranstaltet deutsch-türkische After-Work-Partys

Auch in das Leben von zwei Frauen lässt der Film blicken: Nuran Demir, 45, geboren in Deutschland, ist heute Geschäftsführerin eines Restaurants in Bad Cannstatt, organisiert deutsch-türkische After-Work-Partys. Sie wurde als 18-Jährige von ihren Eltern an einen Großcousin in der Heimat verheiratet. „Es war schrecklich“, sagt sie, „ich hatte noch gar keine Erfahrung.“ Rückblickend aber bringt sie Verständnis auf für ihre Eltern: „Sie glaubten, sie könnten mich auf diese Weise schützen.“

Und die 24-jährige Büsra Arikan trägt Kopftuch mit Stolz und keineswegs beschämt - „Ich habe schon mit acht oder neun Jahren begonnen, ein Kopftuch zu tragen“, erklärt sie. „Dahinter war kein Zwang, meine Eltern waren sogar dagegen, sie haben geschimpft.“ Im Film sucht Büsra nach einer Arbeitsstelle als Sozialpädagogin - mittlerweile hat sie sie bei der mobilen Jugendarbeit in Schorndorf gefunden. „Rechten Jugendlichen bin ich dort noch nicht begegnet“, sagt sie. „Bei mir sind sie brav. Sie haben mein Kopftuch für einen Hut gehalten und fanden es cool.“

„Klein Istanbul – Ein Viertel und seine Menschen“ wird am Montag um 18.15 Uhr in der SWR-Reihe „Mensch Leute“ gesendet. Unmittelbar davor ist Büsran Arikan, nun Streetworkerin in Schorndorf, in der Talkshow „Kaffee oder Tee“ zu Gast