Kirchentag-Urgestein: Werner Frank, Alt-Dekan von Schwäbisch-Gmünd Foto: Frank Eppler

Beim Konzert von Popsänger Andreas Bourani samstagabends auf dem Cannstatter Wasen wird Werner Frank nicht dabei sein. Doch dafür aber bei vielen anderen Veranstaltungen des 35. Deutschen Evangelischen Kirchentags.

Backnang - Der Kirchentag ist ein Spektakel – und das im wahrsten Sinn des Wortes. Ein bemerkenswertes Ereignis, ein aufsehenerregender Schauplatz, der nichts von dem Seichten und Befremdlichen hat, das man mit Spektakeln vielfach assoziiert. Und er spiegelt Zeitgeschichte wider. Besonders dieser 35. Deutsche Evangelische Kirchentag, der nach 1952, 1969 und 1999 zum vierten Mal in Stuttgart stattfindet.

Werner Frank ist ein waschechter Zeitzeuge. Einer derer, die bei allen vier Großereignissen dabei waren und sein werden. Der 79-jährige evangelische Dekan im Ruhestand lebt zusammen mit seiner Frau Ursel (77) in Backnang. Für den gebürtigen Stuttgarter ist das Protestantentreffen ein Heimspiel. 17 Jahre war er alt, als er die bunte Welt des Protestantismus kennenlernte.

„Wählt das Leben“ hieß die Losung des ersten Kirchentages am Neckar. Ein passendes Motto nach den Schrecken des Krieges, die in der Stuttgarter Innenstadt weithin sichtbar waren. „Die Eröffnungsveranstaltung fand vor der Ruinen-Fassade des Neuen Schlosses statt“, erinnert sich Werner Frank. „Am Abend warfen Fackeln und Kerzen ein spärliches Licht auf die Szenerie. Mich hat die Atmosphäre außerordentlich beeindruckt.“ Nicht dass im damals 17-Jährigen der Wunsch, Pfarrer zu werden, aufkeimte. Aber irgendwie wurde an diesem Abend gesät, was später reiche Frucht bringen sollte.

Alt-Dekan Frank ist ein fröhlicher, weltoffener Christ

„Kirchenführer wie Otto Dibelius oder Martin Haug waren zu sehen und eine Kirche zu erleben, die unter den Menschen und mitten in der Gesellschaft stand. Das war für mich ganz wichtig.“ Vier Jahre später beschloss er, evangelische Theologie zu studieren. Nach den Sprachkursen und dem Studium in Tübingen und Berlin machte er 1960 sein Examen. Bedeutende Theologen wie Martin Fischer und Hermann Diem, die während der nationalsozialistischen Diktatur in der Bekennenden Kirche aktiv waren, gehörten zu seinen Lehrern.

Nach dem Studium wurde Frank Vikar in Rudersberg bei Schorndorf und dann Pfarrverweser in Fellbach-Schmiden bei Waiblingen. „Mir ging es um die Menschen. Ich wollte immer Gemeindepfarrer sein“, sagt der hochgewachsene Mann.

Wenn man den 79-Jährigen begegnet, fällt als Erstes sein Lächeln ins Auge. Nicht jenes griesgrämige, erzwungen wirkende Mundwinkel-Hochziehen, dass den Ernst des Lebens und Glaubens unterstreichen soll. Nicht ohne Grund heißt es scherzhaft, dass Christen – zumal sich besonders fromm gebende – zum Lachen in den Keller gehen.

Alt-Dekan Frank ist ein fröhlicher, weltoffener Christ. Wohl deshalb ist er auch seit Jahrzehnten Anhänger der Offenen Kirche in der württembergischen Landeskirche. „Ich bin ein liberaler Christ mit pietistischer Prägung.“ Eigentlich ein Unding, doch in Württemberg ist das möglich: tieffromm sein und gleichzeitig offen für die moderne Welt und Theologie. „Frömmigkeit bedeutet nicht nur Harmonie, sondern auch Konflikt und Diskussion.“ Sich streiten sei kein Widerspruch zum Christsein, sondern Ausdruck eines ernsthaften und gemeinsamen Bemühens um die Wahrheit, ist er überzeugt.

1969 kam der Kirchentag zum zweiten Mal nach Stuttgart. „Hungern nach Gerechtigkeit“ lautete die Losung dieses politischsten aller Protestantentreffen. Es war die Zeit der Studentenunruhen, fetziger Diskussionen und öffentlichen Streits. „In dieser Zeit junger Pfarrer zu sein war eine tolle Chance. Der Kirchentag war hoch politisch und deshalb so wichtig, weil er Neues in der Jugendarbeit, Verkündigung und Seelsorge aufgriff.“ Der Streit um die richtige Bibelinterpretation, den politischen Auftrag der Kirchen und ihre gesellschaftliche Rolle trieb damals viele Pfarrer und Gläubige um.

"Als Christen haben wir eine gemeinsame Verantwortung.“

Damals brach auch auseinander, was eigentlich zusammengehört. Die streng pietistische Bewegung „Kein anderes Evangelium“, maßlos enttäuscht vom politischen und auch religiös vielfältigen Charakter des Kirchentages, ging mit dem Christustag eigene Wege. „Es hat mich immer gestört, wo der Pietismus fundamentalistisch eng wurde“, meint Frank. Er habe es bedauert, dass der liberale und der konservative Flügel auch der württembergischen Landeskirche auseinanderdrifteten. „Ich habe den Kirchentag von 1969 als großen Aufbruch erlebt. Er war wie alle Kirchentage geprägt von Offenheit und Vielfalt.“

Eine Offenheit, die vielen Strenggläubigen zu weit ging. Nicht so Frank. Als Vertreter der Landeskirche bereitete er den Kirchentag 1975 in Frankfurt am Main mit vor und nahm aktiv an den Kirchentagen in Hannover 1983 und Stuttgart 1999 teil. „Ich hatte das starke Gefühl, dass sich die Kirche öffnen müsse, und ich freute mich, an diesem Prozess mitzuarbeiten. Als Christ muss man lernen, Konflikte offen und auch informiert auszutragen.“

Von 1979 bis 1998 hatte er ausreichend Gelegenheit, seine Ansichten einer offenen, dialogbereiten Kirche vor Ort als Dekan in Schwäbisch Gmünd zu leben. „In den meisten Gemeinden haben alle zusammengearbeitet. Da gab es keinen linken und rechten Flügel wie in der Landeskirche.“ Als der Kirchentag 30 Jahre später wieder nach Stuttgart zog, seien die Gräben nicht mehr so tief gewesen. Pietisten und Liberale hätten gelernt, miteinander auszukommen und einander zu respektieren. „Sie merkten, dass die Ablehnung des anderen nicht geht. Als Christen haben wir eine gemeinsame Verantwortung.“

Das Motto des 28. Kirchentages war gut gewählt: „Ihr seid das Salz der Erde.“ Stuttgart 1999 habe einen Beitrag zur Versöhnung geleistet, betont der Theologe. „Es war uns gelungen, Kirche in die Stadt zu tragen. Die Offenheit füreinander, die theologische Tiefe und die gelebte Frömmigkeit waren wirklich bemerkenswert.“ Und nun 2015. Seit 1998 ist Werner Frank Dekan im aktiven Ruhestand. Bis 2005 war er Vorsitzender der „LAGES Evangelischer Senioren in Württemberg“, er engagiert sich weiter in der Flüchtlingsarbeit. „Beim Kirchentag bin ich diesmal eher in der Beobachterposition.“ Das Ehepaar stellt eine Übernachtungsmöglichkeit zur Verfügung und ist beim Markt der Möglichkeiten sowie im Seniorenzentrum aktiv.

„Ich wünsche mir“, sagt Werner Frank am Ende des Gespräches, „dass viele Menschen von der Freude, Fröhlichkeit und Vielfalt des Glaubens erfasst werden.“ Seine musikbegeisterte Frau Ursel wird am Samstagabend um 19 Uhr in der Christuskirche (Gänsheide) bei der Bach-Kantate „Erfreut euch, ihr Herzen“ im Chor mitsingen. „Ich wünsche mir anspruchsvolle Bibelarbeit, gute Musik und viele schöne neue Lieder.“ Daran wird es auch diesmal ganz sicher nicht mangeln.