Gottes Hand im Allerkleinsten: Die Amöbe Dictyostelium discoideum, eine weltweit vorkommende Art der Schleimpilze, die als Einzeller im Boden lebt und kaum größer als 12 µm (Mikrometer = 0,012 Millimeter) ist. Foto:  

„Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum, wer nicht fragt bleibt dumm!“ Das Motto der „Sesamstraße“ – es gilt auch für die Frage nach Gott.

Stuttgart - Der ab 1160 erbaute Ratzeburger Dom gilt als eines der bedeutendsten Zeugnisse romanischer Backstein-Architektur in Norddeutschland. Inmitten eines ummauerten Hofes steht ein steinerner Bienenkorb, darunter die lateinische Inschrift:

„Deus in minimis maximus“ – „Gott ist im Kleinen der Größte“.

Die ganze Theologie in einem Satz

Dieser Satz, sinngemäß dem Kirchenvater Augustinus (354-430) zugeschrieben, erscheint rätselhaft und paradox. Und doch wird in diesen vier lateinischen Wörtern der gesamte christliche Glaube zusammengefasst, findet das unermessliche Gedankengebäude der Theologie Platz in einer winzigen Formel.

Es gibt noch viele andere Aussagen, in denen Gottes Geheimnis als Größtes im Kleinsten beschrieben wird. Sie finden sich in der Frühzeit des Christentums – etwa bei den drei großen, von Papst Benedikt XVI. hochverehrten Kirchenvätern Papst Gregor dem Großen (540-604), Gregor von Nazianz (329-390) und Gregor von Nyssa (335-394) –, im Mittelalter – bei dem Theologen Nicolaus Cusanus (1401-1464) – und in der Neuzeit – so im Werk des französischen Philosophen und Mathematikers Blaise Pascal (1623-1662). Und bei Friedrich Hölderlin.

Hölderlin und das Göttliche

Der große schwäbische Dichter, der 1770 in Lauffen am Neckar geboren wurde und 1843 in Tübingen starb – wo er auf dem Stadtfriedhof begraben liegt –, hat seinem Briefroman „Hyperion oder Der Eremit in Griechenland“ folgendes Zitat vorangestellt.

„Non coerceri maximo, contineri minimo, divinum est.“

„Nicht umschlossen werden vom Größten,sich umschließen lassen vom Kleinsten, das ist göttlich.“

Der „Grabspruch des Loyola“

Woher dieser geheimnisvolle Satz stammt, war lange unklar. Selbst Hölderlin-Forscher rätselten. Erst der Jesuit Hugo Rahner (1900-1968) - ein einflussreicher katholischer Theologe und Kirchenhistoriker, Bruder des noch berühmteren Karl Rahners (1904-1984) – fand „des Pudels Kern“. Die Sentenz stammt nämlich aus dem „Grabspruch des Loyola“.

Dabei handelt es sich nicht, wie man vermuten könnte, um eine Inschrift auf dem Grab des Ignatius von Loyola (1491-1556), dessen Gebeine in der römischen Kirche Il Gesù in einem monumentalen Altar ruhen (l Gesù ist die Mutterkirche des 1534 von Ignatius gegründeten Jesuitenordens). Der „Grabspruch“ existiert nicht wirklich, sondern ist vielmehr eine literarische Hommage an Ignatius, die Jesuiten aus Flandern im Jahr 1640 zusammen mit anderen Hymnen auf die ersten zehn Gründer der „Societas Jesu“ (Ordenskürzel: SJ) in einer Festschrift veröffentlichten.

Gott, der Allmächtige

Dass Theologen von Gott als dem Schöpfer der Welt sprechen, der größer nicht gedacht werden kann, ist eigentlich selbstverständlich. Es gibt keinen Superlativ, der nicht auf Gott angewendet wird: Er ist allmächtig, allwissend, allgegenwärtig, allumfassend . . .

So beginnt das „Apostolische Glaubensbekenntnis“ mit den Worten:

„Credo in Deum,patrem omnipotentem,Creatorem coeli et terrae.“

„Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen,den Schöpfer des Himmels und der Erde.“

„Weder im Großen noch im Kleinsten eingeengt“

Das Allergrößte an Gott ist aber nicht, dass er vom Größten nicht umgrenzt und „weder im Großen noch im Kleinsten eingeengt“ wird, wie Gregor der Große schreibt, sondern selbst im Allerkleinsten zu finden ist und es umfasst.

„Tiefer innen und weiter außerhalb  . . . innerlicher, indem er erfüllt, äußerlicher, indem er umgibt.“

Gott reicht nicht nur über alle Himmel, Gestirne und Galaxien. Er ist auch in jedem Staubkorn, Einzeller und Atom gegenwärtig. Es gibt nichts in den Weiten des Weltalls, weder darin noch darüber hinaus, was nicht den göttlichen Funken in sich trägt und erst durch ihn ins Sein gerufen ist.

„Ruhelos ist unser Herz“

Gott ist der Unfassbare, der weder in Raum noch Zeit zu fassen ist – und doch in allem zu finden ist, wie Augustinus in seinen autobiografischen Betrachtungen „Confessiones“ („Bekenntnisse“) schreibt:

„Tu autem eras interior intimo meo et superior summo meo . . .inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.“

„Du aber warst noch innerer als mein Innerstes, und höher als mein Höchstes . . . Denn du hast uns auf dich hin erschaffen, und ruhelos ist unser Herz, bis es ruhet in dir.“