Ein Junge erpresst einen Chirurgen in einem Mystery-Thriller, der leider nirgends hinführt.
Stuttgart - Stuttgart - Eine gute Stunde lang macht dieser Film atemlos: Ein Junge namens Martin (Barry Keoghan) schleicht sich ins Leben des Herzchirurgen und Ex-Alkoholikers Steven Murphy (Colin Farrell) ein, unter dessen Händen Martins Vater den Kunstfehlertod starb. Bald fordert der zunächst höfliche Sohn eine Kompensation. Um dem Nachdruck zu verleihen, bringt er eine seltsame Krankheit über Murphys Familie, die mit einer Lähmung der Beine beginnt und in blutenden Augen gipfelt. Sollen nicht alle sterben, muss Murphy ein Opfer selbst wählen.
Aug um Aug, Zahn um Zahn geht es im Mystery-Thriller des griechischen Regisseurs Giorgos Lanthimos, der aus der Mythologie schöpft: Als König Agamemnon im heiligen Hain der Göttin Artemis einen Hirsch tötete, zwang ihn diese, im Gegenzug seine Tochter Iphigenie zu opfern. Die Übertragung in die Gegenwart funktioniert, weil diese mitnichten wirkt wie ein heiliger Hain, sondern Lanthimos sie vielmehr stilisiert zum vollkommen inhaltsleeren Ort des schönen Scheins: Es gibt keine Wärme, alle reden in herausgestanzten Textbausteinen und ergehen sich in Nebensächlichkeiten wie der, welches Armband am besten zur teuren Uhr passt. Und wenn Murphy mit seiner Frau Anna Sex hat, dann muss diese im Rollenspiel so tun, als wäre sie narkotisiert.
Der subtile Horror-Ansatz reizt sich aus
Der irische Schauspieler Barry Keogh ist brillant als gnadenloser jugendlicher Manipulator, der in fahrigen Gesten und kalten Blicken die ganze Verachtung der Welt ausstrahlt. Sein berühmter Landsmann Colin Farrell („Brügge sehen... und sterben?“) begegnet ihm auf Augenhöhe, sein Steven Murphy ist nur scheinbar ein väterlicher Typ, binnen Sekunden kann er auf autoritären Darwinismus umschalten. Nicole Kidman kommt ihre immer noch leicht eingefrorene Mimik zugute in ihrer Rolle als Mutter, der es eindeutig an Empathie mangelt. Der kleine Sunny Suljic macht seine Sache gut als liebenswerter Junge, der völlig verloren wirkt und statt patriarchalischer Kommandos dringend ein bisschen Liebe bräuchte. Raffey Cassidy schließlich spielt aufreizend provokant die bockige Teenager-Tochter, die sich dem charmanten Peiniger an den Hals wirft.
Am Ensemble liegt es also nicht, dass letztlich nicht viel bleibt von diesem Film, sondern an der Geschichte. So sehr der subtile Horror-Ansatz in unterkühlter Ästhetik zu Beginn verfängt, so sehr reizt er sich auf Dauer aus, weil es dabei bleibt und nichts dazukommt. Lanthimos setzt auf Schuld und Sühne pur, mehr hat er als Auflösung nicht anzubieten. So wirkt der vorher betriebene immense Aufwand am Ende eher prätentiös.