Nicht paranoid, nur sehr, sehr vorsichtig. Unser Kolumnist Michael Setzer über die letzte große Aufgabe vor dem Nervenzusammenbruch: eine kindersichere Wohnung.
Stuttgart - Eine überhaupt nicht repräsentative Umfrage hat ergeben: Kinder sind super. Es sind die Eltern, die nerven. Eltern organisieren sich in Whatsapp-Gruppen, mit erhobenem Zeigefinger und haben immer Angst. Alle Eltern werden das bestätigen, denn „Eltern“ sind immer die anderen.
Man selbst operiert eher in der Schnittmenge aus wohlgeformtem Superheld, professionellem Alleskönner und Retter der Welt. Ach, komm, die Welt ist nicht genug: Universum. In meinem bescheidenen Selbstverständnis bekomme ich bald eine eigene Marvel-Serie drüben bei Netflix. „Setzman“, „Supersetzi“, „The Incredible Setz“ oder so was. So wichtig nehme ich mich.
Das Unheil lauert überall
Das ist stückweit natürlich auch die Schuld der Kinder. Wie sie einen angucken: das Leuchten von allen Sonnenaufgängen der Welt (am Strand!) in den Kulleraugen, ehrliche Freude, spielerische Neugierde und nicht einen dummen Spruch auf den Lippen. Also, falls die Kinder noch nicht sprechen können. Richtig wichtig fühlt man sich, wenn man das Kind trägt und es den Arm um einen legt. So viel Liebe und Vertrauen will man niemals enttäuschen.
Wie wichtig eine Brille ist lernt man in diesem Moment auch – spätestens wenn einem das Kind mit der freien Hand die Brille von Nase zieht und das Ding durchs Wohnzimmer schleudert. Ohne Brille geht bei mir leider gar nix. Ich brauche nämlich klare Sicht und den Durchblick, es geht schließlich darum, das Kind vor dem Schlechten der Welt zu beschützen, alles Unheil fernzuhalten. Und das lauert an jeder Ecke.
So nicht, Herr Nicholson!
Für alle Säuglinge kommt beispielsweise irgendwann der hässliche Moment, wenn Jack Nicholson anruft und seine Frisur wieder zurückhaben möchte. Als Vater eines Säuglings sehe ich meine Hauptaufgabe darin, derartige Hiobsbotschaften so weit wie nur irgendwie möglich vom Kind fern zu halten.
Neulich habe ich dem Kleinen vorsorglich einen akkuraten Scheitel frisiert – irgendeiner von uns sollte ja seriöse Haare auf dem Kopf tragen. Dann hatte ich ein schlechtes Gewissen und ihm schnell eine verwegene Punkerfrisur zurechtgezuppelt. Ihm war das egal. Hauptsache wir machen zusammen Quatsch.
Kindersichere Wohnung leicht gemacht. Also, fast
Doch weil das Leben nicht nur aus Quatsch besteht, muss eben auch die Wohnung kindersicher gemacht werden. Kugeln aufeinanderstapeln oder Bob Dylan zu verstehen, ist allerdings leichter. Hier kommt ein kurzer Ratgeber:
1. Steckdosenschutzdinger in alle Steckdosen reingrubeln.
2. Alle weiteren potenziellen Gefahren erkennen und entschärfen.
3. Noch mehr potenzielle Gefahren erkennen und entschärfen.
4. Dem Kind hinterherkrabbeln, schon wieder Gefahrenpotenzial entschärfen.
5. Heulkrampf
6. 400 Meter Schaumstoff (bio!) und 15 Weichbodenmatten kaufen, Wohnung damit auskleiden.
7. Impfen, verdammt noch mal
Und wenn die Paranoia dann richtig Adrenalin freisetzt, sind dem Sicherheitswahnsinn keine Grenzen mehr gezogen. Annäherend alles stellt plötzlich eine potenzielle Gefahr für das Kind dar. Alles. Das schief aufgehängte Bild an der Wand zum Beispiel. Jeder weiß schließlich, was Loriot damals passiert ist, als er versucht hat, es zu korrigieren.
Oder: Was, wenn der Kleine das flauschige Kuscheltier oder meine Brille versehentlich auf die Hündin wirft, die vor Schreck ausrutscht und dabei den Knochen im Maul gegen die Glühbirne an der Decke schleudert und ein Scherbeninferno auf uns herunterprasselt? Zack. Kuscheltier weggesperrt. Brille entsorgt. Birne rausgedreht – sehe ohne Brille eh nichts.
Und die „Check Your Head“-Platte von den Beastie Boys habe ich auch weggeworfen. Der Kleine könnte vor Freude tanzen und volle Kanne gegen den Tisch semmeln. Nee, nee. Sicherheit geht vor.
Stand jetzt, fahre ich das Kind irgendwann mit einem Panzer und GSG9-Eskorte zur Kita. Da werden die Lullies in ihren SUVs schön blöd gucken. Ich, Superheld.
Michael Setzer ist vor Kurzem Vater geworden. Früher haben Eltern ihre Kinder vor Leuten wie ihm gewarnt. Niemand hat ihn vor Kindern gewarnt.