Lisa Paus auf der Regierungsbank im Bundestag Foto: dpa/Michael Kappeler

Die Kindergrundsicherung sollte die wichtigste sozialpolitische Reform der Grünen werden – und von der Familienministerin persönlich. Doch inzwischen kämpft Lisa Paus um das Überleben des Projekts.

Vielleicht dachte Lisa Paus im November, es sei jetzt bald geschafft. Müde sah die Familienministerin aus, als sie ans Rednerpult des Bundestags trat, aber zufrieden. Es war der Tag, an dem die Abgeordneten im Bundestag zum ersten Mal über die Kindergrundsicherung debattierten. „Die Kindergrundsicherung ist ein wirklicher Systemwechsel“, sagte Paus. Doch fünf Monate später ist noch immer offen, ob es dazu kommt.

Als Paus vor zwei Jahren Familienministerin wurde, gab sie ein Interview, in dem sie gefragt wurde, was ihr gelingen müsse, um ihre Amtszeit am Ende als Erfolg zu bewerten. Paus‘ Antwort war kurz und klar: „Auf jeden Fall eine Kindergrundsicherung, die diesen Namen auch verdient.“ Es ist das Projekt, das entscheidet, wie man Paus als Familienministerin mal erinnern wird. Inzwischen kämpft die Ministerin um das Überleben ihrer Reform.

Einfache Idee, komplizierte Umsetzung

Am Anfang der Kindergrundsicherung stand eine einfache Idee, um Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen. Weil die Unterstützungsleistungen für bedürftige Familien zwar zahlreich, aber schwer zu beantragen und unübersichtlich sind, wollte man sie in einem Paket bündeln. Doch so einfach die Idee klingt, so schwer ist sie umzusetzen. Die Leistungen, die nun zusammengefasst werden sollen, werden von verschiedenen Behörden und Stellen bearbeitet. Die Sache ist so kompliziert, dass selbst Fachleute die Übersicht verlieren können. Das erfolgreich umzustrukturieren, ist die größte Herausforderung der Kindergrundsicherung. Dem wollte sich die Ampelkoalition stellen.

Doch im vergangenen Jahr stritt die Bundesregierung erstmal über eine andere Frage: was das Projekt kosten darf. Im Zentrum der Debatte stand Paus, die eine beachtliche Summe für das Projekt bei Finanzminister Christian Lindner (FDP) angemeldet hatte: 12 Milliarden Euro. Das entsprach ungefähr dem, was auch Sozialverbände veranschlagt hatten. Wie Paus aber genau auf die Summe kam, wollte sie nicht preisgeben.

Es war ihr erster großer Fehler. Er kostete sie nicht nur Vertrauen, sondern auch Zeit. Bis in den Herbst zog sich der Streit. Am Ende bekam Paus 2,4 Milliarden Euro für ihr Projekt. Wer bislang für die Kindergrundsicherung gewesen war, fragte sich, wie diese Summe ausreichen sollte. Wer ohnehin kritisch auf das Vorhaben geblickt hatte, war nun genervt von der Ministerin.

Ärger um 5000 neue Stellen

Nachdem die Finanzierungsfrage geklärt war, winkte das Bundeskabinett den Entwurf dann immerhin durch, im November wanderte er zur ersten Lesung ins Parlament. Und dann passierte lange nichts. Bis Paus kürzlich in einem Interview ein Detail aus dem Entwurf verteidigte, das besonders umstritten war: die Frage, ob für die Kindergrundsicherung 5000 neue Stellen in der zuständigen Behörde geschaffen werden müssen. Das sehen die aktuellen Pläne vor. Doch weder FDP noch SPD sehen ein, wozu das nötig sein soll. Paus bestand zunächst trotzdem darauf – um kurze Zeit später einzuräumen, dass es womöglich doch mit weniger Stellen gehen könnte. Wieder hatte sie erst auf die Höchstforderung gesetzt, um dann halbherzig nachzugeben.

Auch in ihrer eigenen Partei hat sich Paus nicht nur beliebt gemacht. Der linke Flügel, dem sie angehört, steht größtenteils fest hinter ihr. Doch selbst dort sind einige enttäuscht, dass es Paus nicht gelungen ist, die Öffentlichkeit für die Kindergrundsicherung zu begeistern. Unter den Realos verübeln ihr zudem viele, dass sie im Sommer kurzzeitig das Wachstumschancengesetz blockierte – und zwar direkt nach der Sommerpause, in der man laut versichert hatte, weniger streiten zu wollen. Es verfestigte Paus‘ Ruf als Undiplomatin.

Gestandene Finanzpolitikerin, studierte Volkswirtin

Das alles lässt fast vergessen, dass viele große Hoffnungen hatten, als Paus ins Amt kam. Paus ist gestandene Finanzpolitikerin, studierte Volkswirtin, überzeugte Linke. Seit 2009 ist sie Abgeordnete im Bundestag. In einer Arbeitsgruppe begann sie schon 2013, ein Konzept für eine Kindergrundsicherung zu arbeiten. Doch nun, wo sie es umsetzen dürfte, hat sie sich womöglich verkämpft.

Und nun drängt die Zeit: Etwa ein Jahr braucht es von der Verabschiedung des Gesetzes bis zu seiner Umsetzung. SPD und FDP werfen der Ministerin vor, einen handwerklich unsauberen Entwurf vorgelegt zu haben, der noch viel Arbeit erfordere. Es dürfte eng werden. Doch noch kämpft Paus. Sie ist keine Politikerin, die aufgibt. Vielleicht ist das ihre größte Stärke und ihre größte Schwäche zugleich.