Zwischen Schule und Set: Maggie Salomon aus Tornesch hat es mit zehn Jahren auf die große Leinwand geschafft. Zwei Stuttgarter Jungs träumen noch den großen Traum.
Stuttgart - Die schwierigste Szene war die, in der Maggie Salomon nach Luft ringen musste. Das Drehbuch verlangte einen Erstickungsanfall par excellence mit anschließender (erfolgreicher) Wiederbelebung durch den Arzt. Der Dreh liegt mittlerweile zwei Jahre zurück, doch Maggie erinnert sich gut an diesen herausfordernden Moment. Sie war damals acht Jahre alt, spielte die Hauptrolle im Film „Das Leben meiner Tochter“.
Sie verkörpert darin ein herzkrankes Kind, das nur mit einem Spenderorgan überleben kann. Um seine Tochter zu retten, ist der Vater bereit, auf illegalem Weg ein Herz zu besorgen. Es wird viel über den Tod geredet in diesem Film, und über das Leben. Im Juni 2019 war das Psycho-Drama bundesweit in den Kinos zu sehen. Maggie sagt, dass sie nie von einem Leben als Schauspielerin geträumt habe.
Nur mal durch das Bild laufen
Eigentlich hatte die Zehnjährige, die mit ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder nahe Hamburg in Tornesch lebt, nur mal in ihrer Lieblingsfernsehserie „Die Pfefferkörner“ durchs Bild laufen wollen. „Ich habe meine Eltern gefragt, ob die mich da mal anmelden können“, erzählt Maggie am Telefon.
Ihr Vater Lennart, Profimusiker, meldete sie in einer Kinderagentur an. Nur wenige Wochen später wurde Maggie mit 150 anderen Kindern zum E-Casting eingeladen – sie spielte zu Hause eine vorgegebene Szene und schickte das von den Eltern aufgenommene Video an die Agentur. Mehrere Live-Castings in Berlin folgten. Und dann kam endlich der finale Anruf: Sie hat die Rolle. „Das war richtig schön“, sagt Maggie. Rumgezappelt habe sie vor Freude, gleichzeitig aber noch nicht realisiert, was da gerade passierte.
„Ich wusste nicht, was auf mich zukommt. Ich hatte ja keine Erfahrung.“ Plötzlich Schauspielerin. Zur Vorbereitung gab man ihr einen 90-seitigen Ratgeber an die Hand, in dem stand, dass Filmkinder ein Doppelleben führen. „200 Tage im Jahr begleitet und beaufsichtigt von Lehrern, umgeben von ihren Eltern, Geschwistern und Freunden . . . Morgen als Filmkind am Drehort, umgeben von Schauspielern, Komparsen, Maskenbildnern, Kameraleuten . . .“ Maggie erfuhr, dass Kinder im Jahr bis zu 30 Tage drehen dürfen, je nach Alter im Schnitt drei Stunden pro Tag. Und dass in Deutschland jedes Jahr rund 15 000 Kinder vor der Kamera stehen.
„Es gibt Kinder, die haben ein natürliches Talent der Selbstdarstellung.“
Dass Kinder wie Maggie – ohne Kameraerfahrung – für große Produktionen ausgewählt werden, sei gar nicht so selten, weiß Oliver Moritz, Casting Director bei der Agentur Starboxx. „Es gibt Kinder, die haben ein natürliches Talent der Selbstdarstellung. Da sieht man sofort, ob sie es gerne haben, wenn andere ihnen zuschauen.“ Mal seien Kinder gefragt, die Fahrrad fahren können, mal jene, die Fußballtricks beherrschen oder langes Haar haben. Die Gage für Kinderdarsteller beginnt laut Moritz bei 100 Euro, nach oben gibt es keine Grenzen. Bei erfolgreicher Vermittlung behält Starboxx 20 Prozent als Honorar.
13 500 Kinder bis 13 Jahre hat die Agentur in ihrer Kartei gelistet. Davon kommen fast 600 Kinder aus Stuttgart und Umgebung, unter anderem Colin Götz und Tristan Haag. Beide sind zwölf Jahre alt, beide träumen den Traum, den Maggie bereits lebt. Colin trainiert regelmäßig in der Stage Academy in Stuttgart-Süd. Sein Talent hat ihm bereits Rollen in Musicals beschert wie „Annie – das Musical“ im Wizemann, „Die Päpstin“ im Theaterhaus, „Ludwig II.“ in Füssen.
Colin liebt den Adrenalinschub vor dem Auftritt und „das Drinstecken in und Mitfühlen einer Figur“. Während stressiger Probenzeiten schreibt sich Colin einen Wochenplan, in dem er akribisch vermerkt, wann er für Klassenarbeiten lernen muss. Auch vor der Kamera würde der Gymnasiast gerne mal stehen. „Das wäre ziemlich cool.“
Bei „Soko Stuttgart“ spielte Tristan das Kind eines Mordopfers
Tristan Haag hat das bereits geschafft. Als Fünfjähriger hat er Werbung für Socken und Schulranzen gemacht, zuletzt modelte er fürs Ravensburger Spieleland. „Mein coolster Dreh war ein Porsche-Werbespot, bei dem ich in einem Sportwagen sitzen und auf einem Tablet rumdrücken durfte.“ Bei „Soko Stuttgart“ spielte Tristan das Kind eines Mordopfers. Das Schauspielern hat er nicht gelernt. „Ich hab das einfach so gemacht, wie ich es konnte.“ Sein Vorteil: Er sei am Set immer locker und selbstbewusst. Sich selbst im Fernsehen zu sehen, findet er ein bisschen peinlich. „Das ist ein komisches Gefühl. Man denkt: Hä? Das bin ich?“
Maggie Salomon weiß nach 20 Drehtagen in sechs Wochen, wie der Hase läuft. In einer stillgelegten Klinik im Schwarzwald hat sie gedreht, in der rumänischen Hauptstadt auch. Ein Kindercoach begleitete sie auf Schritt und Tritt und bereitete sie auf die Szenen vor. Auch ein Elternteil war immer in der Nähe. „Ich wusste selbst nicht, dass ich das kann“, sagt sie. Sollte sie Tristan und Colin einen Rat geben, dann diesen: niemals in die Kamera gucken. Und: Den Text nicht schon zwei Tage vorher lernen, sonst besteht die Gefahr, dass es klingt, als würde man etwas auswendig Gelerntes aufsagen.
Für Maggie war der Filmdreh ein Abenteuer, das „super viel Spaß gemacht hat“. Mit ihrer Filmmutter Alwara Höfels („Fack ju Göhte“) und Regisseur Steffen Weinert ist sie immer noch in Kontakt. „Die Crew war wie eine große Familie“, erinnert sie sich. Die nächste größere Rolle lehnte sie ab, weil sie lieber bei den Freundinnen bleiben wollte. Ganz losgelassen hat sie die andere Welt aber nicht. Für eine Nebenrolle in einem Krimi stand Maggie vor der Kamera, und auch für einen Abschlussfilm der Hamburg Media School. Ihr Vater findet, dass sie durch ihre Erfahrung gereift ist. „Sie hat Dinge gesehen, die haben 90 Prozent der Erwachsenen nicht gesehen.“
Macaulay Culkin war in diesem Alter längst ein Superstar
Viele Promis haben angefangen wie Maggie. Karoline Herfurth mit zehn Jahren. Drew Barrymore fing noch früher an. Emma Watson steht vor der Kamera, seit sie elf Jahre alt ist. Macaulay Culkin war in diesem Alter längst ein Superstar, „Kevin allein zu Haus“ sei Dank. Ob sie als Schauspielerin Karriere machen will, darüber denkt Maggie noch nicht nach. Sie träumt immer noch von den „Pfefferkörnern“. Dass sie mehr kann als durchs Bild zu huschen, das weiß sie jetzt.