Christian und Kim Schöttle Foto: Florian Gann

Christian beachtet Kim erst kaum, dann verpasst er die Gelegenheit für den ersten Kuss. Als sie aus Stuttgart heim nach England fliegt, fährt er ihr zum Flughafen nach, lässt sie ausrufen, doch sie fliegt ohne ihn. Was kann da noch kommen?

Es gab diesen einen Moment auf Schloss Lichtenstein. Kim wartete darauf, dass Christian sie endlich küsst. Es ist Spätsommer 1989, romantisches Setting, erste Funken und erste Schmetterlinge fliegen, die Beiden sind allein, es wäre der richtige Zeitpunkt. Aber Christian küsst sie nicht. Er kommt auch nicht zum Flughafen, als sie zwei Tage später zurück in ihre Heimat fliegt. Es ist nicht die erste Chance für ihre Liebe, die sie verpassen.

 

Lange ist Kim für Christian einfach die Freundin einer Freundin

Kim und Christian, zu diesem Zeitpunkt 25 und 30 Jahre alt, kennen sich schon eine Weile über die gemeinsame Freundin Christine. Durch sie kommt Kim immer wieder zum Weindorf nach Stuttgart. Und die Stuttgarter Truppe, inklusive Christian, besucht Kim 1987 in London. Aber Kim bleibt für Christian die ganze Zeit die Freundin einer Freundin. Es dauert, bis sich das ändert.

Zurück im Jahr 1989, es ist mal wieder Weindorf-Zeit. Christian und seine eingeschworene Clique treffen sich normalerweise immer in der Ampulle im Stuttgarter Westen, es ist eine Art zweites Wohnzimmer. Aber während der 14 Tage Weindorf verbringen sie alle 14 Abende dort im Schluckspecht.

Auf der Blumeninsel Mainau werden die Blicke mehr

Auch Kim ist wieder aus England angereist. Sie ist mittlerweile Weindorf-geschult und spricht genau zwei deutsche Sätze: „Trinken wir ein Viertele zusammen“, und „Schau mir in die Augen, Kleines.“ Erst mal läuft alles wie üblich, es wird Wein getrunken, und Kim und Christian beachten sich nicht weiter. Bis Kim jemanden braucht, der sich um sie kümmert, weil ihre Freundin keine Zeit hat. Christian hat Zeit. Er plant eine Tour de Ländle.

Die Beiden fahren zuerst auf Mainau, die Blumeninsel im Bodensee. Kim, blonde Locken, dunkle Augen, streicht durch die bunten Blüten, die ihr bis zum Oberkörper ragen. Sie sieht gedankenverloren aus in ihrem weiten weißen Pulli. Ihr fällt auf, dass Christian, rotes Hemd, breite Schultern, blaue Augen, sie immer wieder anguckt. Und inmitten der Blumen schießt er heimlich ein Foto von Kim. Wahrscheinlich hat sein Herz dabei ein wenig schneller geschlagen.

Christian eilt Kim zum Flughafen hinterher, aber er verpasst sie

Sie steigen wieder ins Auto, Christian hält Kim die Tür auf, er macht das immer. Sie fahren weiter, Konstanz, Meersburg, Salem, zum Schluss Schloss Lichtenstein. Kim findet die Tour toll, und ihr wird klar, das liegt auch an Christian. Von den Burgmauern schauen sie ins Tal. „Warum küsst er mich nicht“, fragt sich Kim. Es ist dieser spezielle Moment, wie gemacht, damit sich zwei Paar Lippen berühren, aber es passiert nicht. „Ich war schon immer etwas schüchtern“, wird Christian später sagen.

Zwei Tage später steht Kim nervös am Stuttgarter Flughafen. Christian hatte versprochen aufzutauchen, aber er kommt und kommt nicht. Er hockt in einer Besprechung des elterlichen Betriebs Electrostar und kommt einfach nicht los. Danach eilt er zum Flughafen, lässt Kim über Lautsprecher ausrufen, sie hört nichts davon. Sie sind im selben Gebäude, aber finden nicht zueinander, Handys gibt es ja noch keine. Kim steigt in ihr Flugzeug nach England, Christian steht verloren am Stuttgarter Flughafen. Wieder eine Chance verpasst.

„Komm einfach, komm!“, fordert Christian

Aber am Abend des Tages klingelt das Telefon in Kims Londoner Wohnung. Es ist Christian. „Ich möchte dich nochmal sehen“, sagt er. Tausend Dinge gehen Kim durch den Kopf. „Komm einfach, komm!“, fordert Christian. Sie erzählt ihrer Oma von Christian, von den Gefühlen. Die Oma sagt: „Du musst hin, du musst deinem Herz folgen.“ Ein paar Wochen später, am 31. Oktober 1989, fliegt sie wieder nach Stuttgart, in zwei Koffern hat sie ihr Leben hierher verfrachtet.

In der Zeit danach lernen sie sich eigentlich erst richtig kennen. Erst ein paar Wochen nach Kims Ankunft in Stuttgart küssen sie sich zum ersten Mal, an Silvesterabend 1990 hält Christian um Kims Hand an, am 23. Mai 1992 heiraten sie in Reichenbach, wo sie kurz danach auch hinziehen. Ihre beiden Kinder – heute 27 und 30 Jahre alt – wachsen dort auf. „Ich bewundere meine Frau für das, was sie gemacht hat. Ich wäre zu feige gewesen“, sagt Christian Schöttle, mittlerweile 64 Jahre alt, heute. Und Kim Schöttle, 59, meint: „Es hätte alles schiefgehen können, aber er ist meine große Liebe.“