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Stadtbücherei: Wirkungsforscher Matthias Bopp verrät, wie gefährlich Computerspiele wirklich sind.

Stuttgart - Die einen fordern das Verbot der "Killerspiele". Die anderen sehen Computerspiele als Möglichkeit für neue pädagogische Konzepte. Der Wirkungsfoscher Matthias Bopp räumt mit einigen Horrorszenarien, aber auch einigen Wunschvorstellungen auf. Am Donnerstag ist er in der Stadtbücherei Stuttgart zu Gast.

Herr Bopp, spielen Sie gerne am Computer?

Früher habe ich viel gespielt, aber feststellen müssen, dass umso mehr man spielt, umso schneller man sich langweilt. Es gibt zu wenige innovative Spiele. Jetzt versuche ich wenigstens bei aktuellen Blockbustern auf dem Laufenden zu bleiben. Die spiele ich aber meistens nur an. Mir fehlt einfach die Zeit, Spiele komplett durchzuspielen. Die dauern ja oft Hunderte Stunden.

Was sind Ihre Lieblingsspiele?

Ich mag das deutsche Rollenspiel "Gothic", den Shooter "Half-Life" und das Adventurespiel "Dreamfall", das aus Norwegen stammt - einem Land, in dem die Spieleindustrie sogar staatlich gefördert wird.

Seit 2009 gibt es aber auch in Deutschland einen vom Kulturstaatsminister verliehenen Computerspielepreis.

Ja, mit Spielen passiert gerade das, was Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Film passiert ist. Bevor das Kino als Kunstform akzeptiert wurde, verstand man es als Jahrmarktspektakel, als Belustigungsprogramm für ein eher minderbemitteltes Publikum. Irgendwann werden sich wohl an den Unis so viele Wissenschaftler mit Computerspielen beschäftigt haben, dass einige der Spiele als Kunstwerke akzeptiert werden - ähnlich wie das beim Medium Film der Fall war. Ich glaube, Spiele könnten die Kunstform des 21. Jahrhunderts werden.

Zurzeit fällt im Zusammenhang mit Spielen wie "Counter-Strike", "Grand Theft Auto 4" oder "Call Of Duty" nur selten der Begriff Kunst und häufig der Ausdruck Killerspiel. Was halten Sie von dieser Bezeichnung?

Das ist ein populärer, sehr normativer Kampfbegriff. Problematisch dabei ist, dass zu viel in diese eine Schublade hineingeworfen wird. Man will für eine komplexe Problematik eine zu einfache Lösung finden. Und mit einem Verbot der sogenannten Killerspiele löst man nicht das Gewaltproblem.

Risikogruppen sind problematisch

Gibt es keinen Zusammenhang zwischen Computerspielen und Gewalttätigkeit?

Der aktuelle Forschungsstand ist, dass es Risikogruppen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gibt. Dabei handelt es sich in der Regel um Jungs oder Männer, die sowieso schon eine große Neigung dazu haben, gewalttätig zu werden. Wenn diese zur Risikogruppen zählenden Menschen häufig eine bestimmte Art von Computerspiel spielen, erhöht sich wahrscheinlich die Zahl derer, die tatsächlich gewalttätig werden könnten. Mehr lässt sich wissenschaftlich fundiert nicht dazu sagen.

Welche Konsequenzen sollte man daraus ziehen?

Man kann aus diesem Forschungsstand keine direkten Schlüsse ziehen, sondern man muss politische Wertentscheidungen fällen: Sollte man, um die Risikogruppen zu "schützen", auch allen anderen Computerspiele verbieten? Das ist eine Entscheidung, die nicht Wissenschaftler, sondern Politiker fällen müssen.

Wenn ich Sie richtig verstehe, reicht es aber nicht aus, gewalttätige Spiele für Kinder und Jugendliche zu verbieten, weil auch Erwachsene gefährdet sind?

Empirische Forschungen ziehen bei 18 keine Grenze. Bloß weil man erwachsen ist, heißt das nicht, dass man klug ist und sich nicht mehr beeinflussen lässt. Jedoch sollte man davon ausgehen können, dass Erwachsene die Einflussnahme leichter durchschauen.

Erschwert die stark emotionalisierte Debatte um Computerspiele eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema?

Das Schöne an der Wissenschaft ist, dass sie autonom ist. Ein guter Psychologe oder Erziehungswissenschaftler sollte selbstverständlich die Diskurse der Spielebefürworter und Spielegegner kennen, sich davon aber nicht beeinflussen lassen. Er muss aber auch damit leben, dass die Ergebnisse seiner Studien in Medien oft sehr selektiv und parteiisch genutzt werden.

Oft wird behauptet, dass Computerspiele nicht nur gewalttätig machen, sondern auch zur sozialen Isolation führen.

Wenn man zu viel spielt, wenn man es übertreibt, gibt es problematische Folgen. Die gibt es aber auch, wenn man zu viel fernsieht, zu oft ins Kino geht, zu viel Nietzsche oder Goethe liest. Wenn man sich nur für eine Sache interessiert und alles andere nicht mehr wahrnimmt, ausblendet. Schon Aristoteles hat ein vernünftiges Mittelmaß gefordert. Das gilt auch und besonders bei der Mediennutzung. Man wird auf jeden Fall nicht gleich schlechter in der Schule, unkonzentrierter und unkommunikativer, bloß weil man in seiner Freizeit gerne am Computer spielt.

Auch Jump 'n' Runs können agressiv machen

Aber beim Spielen lernt man auch etwas.

Das ist umstritten. Transfereffekte, also die Anwendung von in Spielen erlernter Techniken im wirklichen Leben, sind bisher kaum erkennbar. Das hat aber noch nicht viel zu sagen, weil es bisher nur wenige gute digitale Lernspiele gibt. Wenn Schüler lernen sollen, wie ökologische Systeme funktionieren, kann man sich aber vorstellen, dass das entsprechende Wissen eine Computersimulation besser vermitteln kann als ein Buch. Auch beim emotionalen Lernen könnten Computerspiele hilfreich sein. In "Global Conflicts: Palestine" zum Beispiel übernimmt der Spieler die Rolle eines Journalisten, der versucht, die Situation im Nahen Osten zu verstehen. Durch solche Rollenspiele lernt man vielleicht, sich in unterschiedliche Positionen einzufühlen. Es ist allerdings Quatsch zu glauben, dass das Computerspielen an sich die allgemeinen Problemlösefähigkeiten verbessert. Das ist nicht nachweisbar. Dazu müsste eine viel zu große Transferleistung erbracht werden.

Selbst scheinbar harmlose Jump-and-Run-Spiele können aggressiv machen. Nämlich dann, wenn man in einem bestimmten Level wieder und wieder scheitert.

Ja, solche unmittelbaren Effekte gibt es. Ob man verliert oder gewinnt, ist oft entscheidender als der Inhalt des Spiels selbst. Fußball zum Beispiel gilt nicht als Killerspiel. Wenn die eigene Mannschaft verloren hat, zeigen Fans aber immer wieder eine erhöhte Gewaltbereitschaft. Solche Effekte sind gut nachgewiesen. Im Gegensatz zur Theorie, die behauptet, dass man sich bei Ego-Shootern abreagiert. In der Forschung ist man sich weitgehend einig, dass beim Spielen keine wirkliche Triebabfuhr stattfindet.

Für wie gefährlich halten Sie Ego-Shooter tatsächlich?

Bei uns in Deutschland erschwert der Staat den Zugang zu Waffen. In den USA können Jugendliche wesentlich einfacher an Waffen kommen. Deshalb ist für sie der Transfer der in Ego-Shootern erlernten Techniken viel einfacher. In Deutschland sind dagegen vielleicht Prügelspiele viel problematischer. Die sind ja oft ziemlich nah an dem dran, an Situationen, die auf deutschen Hauptschulschulhöfen stattfinden. Sehr nah an die Alltagsrealität können auch Rennspiele wie "Need For Speed" kommen. Ein Jugendlicher, der im Auto die gleiche Musik hört wie im Spiel, kann betrunken auf dem Heimweg von der Disco schon mal die Wirklichkeit mit dem Spiel verwechseln - mit tragischen Folgen.

Und zurzeit boomen wieder einmal die Kriegsspiele.

Ja, Spiele wie "Call Of Duty" sind problematisch, weil sie einem einem weismachen, dass Krieg eine ziemlich spannende Angelegenheit ist. Die Leute haben Angst, dass sie eines Tages der Nachbarjunge über den Haufen schießt. Doch sie sollten sich viel lieber Sorgen machen, dass es vielleicht manche Jugendlichen unproblematisch finden, wenn die Bundeswehr im Ausland Krieg führt. Letztlich wird in der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit Computerspielen über die falschen Probleme diskutiert.

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