Eine Frau in Göppingen hat Hagelkörner in der Größe von Tischtennisbällen gesammelt – Ende Juli haben Unwetter große Schäden im Südwesten angerichtet. Foto: dpa

Was ist der Unterschied zwischen einem Flutopfer und einem Hagelopfer? Die einen bekommen Hilfe vom Staat, die anderen nicht. Doch auch der Hagel hat eine Spur der Zerstörung hinterlassen. Die meisten Hausbesitzer sind dagegen versichert. Die Absicherung gegen Hochwasser haben sich viele gespart.

Stuttgart - Pech für die Hausbesitzer in Tübingen und Reutlingen. Der Hagelsturm Ende Juli hat massives Unheil angerichtet. Für die SV Sparkassenversicherung ist es sogar der größte Schaden in der 255-jährigen Geschichte des Unternehmens, weitaus größer noch, als ihn Sturm Lothar verursacht hat. Doch bundesweit sind die Hagelkörner, die mit voller Wucht niedergegangen sind, kaum wahrgenommen worden. Kein hochrangiger Wahlkämpfer kam und versprach Hilfe. SV-Vorstand Klaus Zehner nimmt das aufs Korn: „Es gibt kein Hagelhilfegesetz des Bundes, das den Leuten in Tübingen und Reutlingen hilft“, bemerkt er und fügt hinzu: „Ist das gerecht oder populistisch?“

Die Fluthilfe ist dem Wahlkampf geschuldet. Glück im Unglück für die Betroffenen, deren Hab und Gut in den Wassermassen versank. Denn die meisten Häuser in den überschwemmten Gebieten sind nicht gegen Elementargefahren wie Hochwasser versichert, wie eine Erhebung des Versicherungsverbands zeigt: In Bayern sind es nur 21 Prozent, in Sachsen-Anhalt 38 und in Hamburg 13. Ganz anders die Situation in Baden-Württemberg: Hier sind 95 Prozent der Gebäude gegen Elementarschäden versichert.

Immer wieder wie jetzt nach der Jahrhundertflut beklagen einige Hausbesitzer, dass sie gar keine Versicherung gegen Hochwasser bekommen würden. Doch die Versicherer halten dagegen. 99 Prozent würden sich problemlos versichern können, sagen sie. Auch Zehner, der bei der Sparkassenversicherung den Bereich Schaden/Unfall verantwortet, sieht das so. Deutschlandweit sind nur 32 Prozent der Häuser gegen Elementargefahren versichert. Am Preis könne das nicht liegen, meint er und rechnet vor: Beim Marktführer SV kostet ein Einfamilienhaus mit 120 Quadratmeter Wohnfläche in der niedrigsten Gefahrenzone 1,03 Euro am Tag, um es gegen Feuer, Sturm, Hagel, Elementar und Leitungswasser abzusichern. Macht 376 Euro im Jahr. Selbst in der höchsten Gefahrenzone sind es nur 1,26 Euro am Tag, hinzu kommt ein Selbstbehalt bei Überschwemmung von 4800 Euro im Schadensfall. Dennoch entscheiden sich die meisten Hausbesitzer mit Ausnahme der baden-württembergischen dagegen. „Die Leute geben mehr Geld aus, um ihr Auto Vollkasko zu versichern, als ihr hochwassergefährdetes Haus abzusichern“, sagt Zehner.

Pflichtversicherung ist im Gespräch

Von der Diskussion um eine Pflichtversicherung, die stets nach Katastrophen aufkommt, hält der Versicherungsvorstand dennoch nichts. „Die Frage ist: Führe ich eine Pflichtversicherung ein, weil sich 70 Prozent der Hauseigentümer nicht um einen Versicherungsschutz kümmern, obwohl 99 Prozent problemlos einen bekämen?“ Der Manager lehnt das ab und begründet das auch: „Bei unserer knappen Kassenlage müsste der Staat eine Gebäudepflichtversicherungsbehörde gründen, die kontrollieren würde, ob der Hauseigentümer seiner Pflicht nachkommt, sich vor dem Hochwasser zu schützen. Das ist absurd. Für das Geld würde ich lieber Kindergärten bauen.“

Trotz knapper Kassenlage haben Bund und Länder immerhin acht Milliarden Euro geschultert und einen Fluthilfefonds eingerichtet. Davon sind 1,5 Milliarden für Reparaturen an der bundeseigenen Infrastruktur vorgesehen, die restlichen 6,5 Milliarden Euro sind für die Geschädigten der Hochwasserkatastrophe. Baden-Württemberg muss dafür 25 bis 27 Millionen Euro jährlich in den nächsten 20 Jahren aufwenden. Umgekehrt fließt nur 1,1 Prozent von den 6,5 Milliarden für Geschädigte ins Land zurück.

Auf einer Sonderkonferenz sind die Umweltminister Anfang der Woche der Frage nachgegangen, wie mehr Hausbesitzer zum Abschluss einer Elementarschadenversicherung bewegt werden können – bis hin zur Pflichtversicherung. Bis Ende nächsten Jahres sollen die Vorschläge geprüft werden.

„Es gibt immer extremere Jahreszeiten“

Dass den Flutopfern in ihrer Notlage geholfen wird, steht für Zehner außer Frage. Doch er richtet auch den Blick nach vorn. Was ist bei der nächsten Jahrhundertflut zu tun, die vielleicht in zehn Jahren, in 100 Jahren oder schon nächstes Jahr kommt? Sich auf den Staat zu verlassen ist für ihn kein Zukunftsmodell. Einige Schäden und „viel Elend“ ließen sich bereits vermeiden, wenn es mit dem Dammbau vorangehe und keine Baugenehmigungen mehr in hochwassergefährdeten Gebieten ausgewiesen würden. Doch auch den Hausbesitzer sieht Zehner gefordert. „Leute, die sich versichern, haben Bürgersinn. Sie achten auf ihr Eigentum und liegen nicht der Gemeinschaft auf der Tasche“, betont der SV-Vorstand.

Werden die Prämien nach dem Hagelschaden steigen? Das mag Zehner nicht ausschließen. Entschieden sei noch nichts, aber man werde sich die Schadenentwicklung und die Prämien in der Gebäudeversicherung insgesamt ansehen. Allein für den Hagel Ende Juli rechnet die SV als Marktführer mit einem Schaden in Höhe von 600 Millionen Euro, 111 Millionen Euro sind bereits an Kunden ausgezahlt. 200 Dachdecker aus dem Bundesgebiet sind für die Sparkassenversicherung im Einsatz, um die Schäden zu beseitigen. Der Versicherer hat mit den Dachdecker-Innungen in Baden-Württemberg, Thüringen und Hessen vereinbart, dass die Unternehmen im Ernstfall für die SV zu einem festen Preis arbeiten.

Gibt es eine Jahreszeit, die Gebäudeversicherer besonders fürchten? „Eigentlich fürchten wir jede Jahreszeit“, räumt Zehner ein. „Es ist wie bei der Bahn. Probleme gibt es im Frühling, Sommer, Herbst und Winter.“ Viel deutet darauf hin, dass sich die Unwetter in Zukunft häufen. „Es gibt immer extremere Jahreszeiten“, so Zehner, kältere Winter, heißere Sommer und in der Wucht stärkere Unwetter. „Deshalb zahlen wir immer mehr Schäden aus Elementarereignissen. Das macht uns als größtem Gebäudeversicherer Sorgen.“